Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
sich nun gegenseitig zur Eile an. Helene hatte sich die Hände abgewischt, um einen sorgfältig gefalteten Stapel Baumwolltücher aus dem Regal zu holen, mit denen später der gehende Teig in den Körben abgedeckt würde. Sie blieb vor der trotz der Sommerhitze dunkelgekleideten Elisabeth stehen.
»Das ist meine Schuld. Ich habe getrödelt und bin zu spät …« Luise unterbrach sie mit einem heimlichen Fußtritt.
»Wir sind gleich fertig, Elisabeth. Wir hatten einfach viel zu viel Spaß zusammen, oder etwa nicht?« Von allen Seiten erhielt sie zustimmendes Raunen. Elisabeth trat auf Helene zu. Luises Worte missachtend, sagte sie mit festem Blick: »Deine Schuld?« Sie machte eine Pause, fuhr dann fort: »Na gut. Dann geh zu den Männern, sag ihnen, dass sie gleich nach der Messe das Brot backen können.« Im Weggehen wandte sie sich um und blieb kurz vor Luise stehen. Sie trug ihr süßes Lächeln: »Es ist schön, dass ihr Freude an der Arbeit habt. Nur – Freude allein hat noch keinen satt gemacht.«
Die Frauen warfen einander scheue Blicke zu, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen. Mit flinken Händen rollten sie das letzte Stück Teig zu Kugeln und legten sie in die geflochtenen Körbe. Elisabeth nahm ein Messer aus der Schublade und begann, ein Kreuz in jede Kugel zu ritzen.
»Dann gehe ich jetzt wohl besser zu den Männern«, sagte Helene. Elisabeth nickte stumm.
Alle hatten sich zur Messe im Schatten des großen Geistereukalyptus zusammengefunden. Nicht nur die beiden Gemeinden Neu Klemzig und Zionshill, sondern auch Mitglieder der Kirche aus Adelaide, die den Ausflug in den Busch, wie man hier eine Landpartie nannte, zu genießen schienen. Die Städter konnte man ohne Schwierigkeit daran erkennen, dass sie feiner gekleidet waren. Die meisten waren auch nicht wie die Brüder und Schwestern hier oben Bauern und Handwerker, sondern Anwälte, Lehrer oder Ärzte. Doch natürlich trugen auch die Bauern heute ihren besten Zwirn, das Fastenfest zu Beginn der vierzigtägigen Passionszeit verlangte danach. Heute würde zum letzten Mal vor Ostern so richtig geschmaust und gefeiert werden, mit allem, was das neue Land an Köstlichkeiten hergab. Sogar ein wenig Wein aus dem nahe gelegenen Barossa Valley würde zur Feier des Tages fließen, und darauf freuten sich ganz besonders die Männer.
Weiter hinten stand ungefähr ein Dutzend Aborigines, die ebenfalls eingeladen waren. Sie hatten sich zu Ehren der Mission mit Emufett eingerieben und mit Asche traditionelle Muster auf ihre Körper gemalt. Einige der Älteren trugen Federschmuck und Amulette. Die Männer hielten Schilde und Speere in der Hand und machten, wie sie so still als Gruppe zusammenstanden, einen imposanten Eindruck. Trotzdem fand Helene, dass sie zwischen den weißgekleideten städtischen Damen mit ihren Sonnenschirmen und den Herren im stadtfeinen Dreiteiler aus bestem Zwirn irgendwie fehl am Platze wirkten. Die meisten von ihnen hatten es ohnehin vorgezogen, statt am Abend am Festmahl der Weißen teilzunehmen, eine Extraration Kartoffeln und Schwein zu ihren Hütten und Zelten zu nehmen, die unterhalb der Siedlung auf der anderen Seite des Billabongs standen. Damit hatte man aus Erfahrung gerechnet, und allein deshalb hatte sich Gottfried überhaupt damit einverstanden erklärt, die Schwarzen einzuladen.
Pastor Maximilian stand auf einer Holzkiste, damit er von allen gesehen werden konnte. Wie immer, wenn er die Messe las, wurde es schnell still. Da er sein Amt selten und nur noch zu besonderen Anlässen ausübte, wollte ihm die Gemeinde besonderen Respekt erweisen. Selbst die Kleinsten waren ziemlich ruhig, allein die ewige Geste des Fliegenverscheuchens brachte Bewegung in die versammelte Runde. Maximilian sprach wie gewöhnlich warme und ermunternde Worte, Worte, die die Gemeinde ein wenig näher zusammenrücken ließen. Doch an Helenes Ohr, die sich absichtlich ein wenig abseits gehalten hatte, drangen nur Wortfetzen, die der heiße Wind ihr zutrug. Um diese Jahreszeit kam er aus der Wüste und blies wie heißer Atem über die trockenen Hügel. Helene bezweifelte, dass sie mehr verstanden hätte, wenn sie dichter am Baum gestanden hätte. Noch immer war sie viel zu sehr mit den aufwühlenden Ereignissen des Tages beschäftigt. Wie zum Beispiel die Erkenntnis, dass Gottfried Johannes anfeindete. Warum nur? Was führte er im Schilde? Sie musste unbedingt mehr darüber in Erfahrung bringen. Notgedrungen arbeitete sie eng mit ihm zusammen, und das
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