Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Ast. Mit triumphierendem Blick hielt er ihr die Blätter unter die Nase. »Riechen Sie das? Die Myrtenheide wird auch Teebaum genannt. Blätter und Rinde enthalten ein Öl, das alles Mögliche heilt. Zum Beispiel Kopfschmerz. Das hab ich von den Aborigines gelernt. Versuchen Sie es ruhig einmal.« Helene nahm ein Blatt und steckte es zögerlich in den Mund.
»Vertrauen Sie mir etwa nicht?« Ohne weiter nachzudenken, schob Helene den Rest des Blattes in den Mund und begann folgsam, darauf herumzukauen.
»Pah, das ist ja widerlich.« In hohem Bogen spuckte sie das bittere Grünzeug aus und schüttelte sich. Johannes lachte laut. Hatte er sich etwa einen Scherz mit ihr erlaubt? Sie wollte sich schon beschweren, da verstummte er und legte einen Arm um ihre Schulter.
»Verzeihung, aber es hat sehr komisch ausgesehen, wie Sie das so angeekelt ausgespuckt haben.« Peinlich berührt blickte sie zur Seite. Johannes musste bemerkt haben, wie ihr zumute war, denn schnell setzte er nach: »Das war genau das Richtige. Ich hätte Sie ansonsten dazu auffordern müssen.« Sie sah ihn fragend an.
»Zu viel Teebaumöl, und es wirkt giftig. Aber keine Sorge, ein einziges Blatt kann nicht viel Schaden anrichten.«
»Da bin ich aber beruhigt, dass Sie mich nicht um die Ecke bringen wollten.«
»Warten Sie, ich bringe Ihnen ein Glas Wasser, damit Sie den Geschmack loswerden.« Er verschwand im Schulhaus, Helene setzte sich auf einen der Säcke. Die Beine mit den Armen umfassend, legte sie ihre Stirn auf die Knie und begann, sich zu entspannen. Urplötzlich war der Kopfschmerz verschwunden. Sie hob den Kopf, vor ihr stand Johannes. Er kniete sich vor sie hin und reichte ihr den Becher.
»Besser?« In seinen Augen leuchteten die Sterne. Er legte seine Hände an ihre Schläfen und massierte sie sanft. Helene schloss die Augen.
»Ich muss jetzt gehen, Helene. Ich hab Anna gesagt, dass ich nur schnell nach dem Rechten schaue und sie und den Jungen dann holen komme.« Er war aufgestanden und zog sie zu sich hoch. »Ich bin sehr froh, dass die Schmerzen aufgehört haben. Ruhen Sie sich mal richtig aus, Sie haben so viel für mich, für uns getan. Ich danke Ihnen dafür, Helene.« Johannes ging, drehte sich aber nochmals um. »Ach, das Gespräch heute mit Gottfried. Seien Sie mir nicht böse, dass ich Sie weggeschickt habe. Glauben Sie mir, Sie haben nichts verpasst. Es war ein hässlicher Streit. Gute Nacht dann.« Er hob zum Abschied kurz die Hand.
Helene war den zweiten Sommer in Australien, als nach einer langen Dürre das gefürchtete Feuer ausbrach. Helene hatte die Bauern oft und ängstlich davon reden hören. Wie ein Damoklesschwert hing die Bedrohung über ihnen. Diejenigen Siedler, die schon lange genug in Neu Klemzig waren, um den letzten großen Brand vor zwölf Jahren erlebt zu haben, sprachen nun schon seit Wochen von nichts anderem und von den Zeichen, die sie gesehen hätten.
Da waren zunächst die Fliegen, deren penetrante Anwesenheit an sich nichts Ungewöhnliches war. Im Sommer schwirrten sie überall herum, und sie waren lästig. Sie ließen sich nicht aus den Häusern vertreiben, und schon gar nicht aus der Küche, wo sie sich gierig auf jede noch so winzige Krume setzten. Gleich, was sie an Nahrung fanden, ob Obst, ein Stück Käse oder einen Krug Milch, sie stürzten sich darauf oder, wie im Falle der Milch, gleich mitten hinein. Saßen sie erst mal auf ihrem Futter, machten sie sich sofort daran, die Lebensmittel mit ihren Eiern zu verseuchen. Wenn die erst einmal gelegt waren, entwickelte sich in kurzer Zeit ein bestialisch-süßlicher Gestank wie von Verwesung. Wer es dann versäumte, die verdorbene Nahrungsquelle rechtzeitig zu entfernen, hatte bald den Nachwuchs im Haus. In der Hitze des Hochsommers dauerte es nicht lange, bis die Maden schlüpften. Hunderte gelblich-weißer Leiber mit übergroßen schwarzen Augen krochen dann langsam wie eine Armee in einer Richtung über den Boden, bereit zu schlüpfen und auf der Suche nach dem nächsten Futtertrog. Sie aus dem Haus zu fegen war nahezu unmöglich, und noch nach Tagen tauchten sie wieder aus irgendeiner Ecke auf.
Die Anwesenheit von Fliegen war im Sommer also nicht weiter auffällig. Doch in diesem Jahr war es anders, sagten die Alten. Die Fliegen begannen, aggressiv zu werden. Sie setzten sich auf die Haut von Mensch und Tier und ließen sich kaum mehr verscheuchen. Pferde und Kühe zuckten ohne Unterlass und wie reflexartig ihre Muskeln. Besonders die
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