Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Pferde litten, die sich anders als Kühe von den Insekten nervös machen ließen. Sie warfen den Kopf wild von links nach rechts und wieder zurück, schlugen sich den Schweif und schüttelten die Mähne, doch all das nutzte nichts. Die Fliegen stoben höchstens kurz auf, um sich dann in aller Seelenruhe gleich wieder auf dem Tier niederzulassen. Einige der Feldarbeiter trugen jetzt einen Hut, von dessen breiter Krempe Korken an einem Faden herunterbaumelten, damit die Fliegen wenigstens dem Gesicht fernblieben. Sie klebten sich ansonsten an die Ränder der Augenwinkel.
Das war das erste Zeichen. Wenn sich die Fliegen nicht mehr davon abhalten ließen, selbst den Menschen in die Augen zu fliegen, um die Tränenflüssigkeit zu trinken, dann hieß das: Es gab weit und breit keinen Tropfen Wasser mehr.
Das zweite Zeichen war offensichtlicher. Jedermann konnte schließlich mit eigenen Augen sehen, wie knochentrocken das Gras war. Aber auch dies war in einem heißen Sommer in Südaustralien nichts Neues. Was den Alten, die das große Feuer damals überlebt hatten, Sorgen bereitete, war ausgerechnet die Frucht des lebenspendenden Regens, der lange vor der Dürre das Land so reichlich gesegnet hatte.
Im November des vergangenen Jahres hatte es mehr geregnet als in den drei Monaten zuvor, und die Bauern tanzten vor Freude auf den Feldern. Jetzt allerdings erwies es sich als Fluch, denn die Niederschläge hatten das Gras in langen Halmen sattgrün aus dem Boden schießen lassen. So reichlich hatte die Natur gegeben, dass Mensch und Tier unmöglich von alldem Gebrauch machen konnten. So fleißig die Neu Klemziger auch das Gras mähten, um es als Heu für den Winter vorrätig zu haben, es wuchs schneller, als es eingefahren werden konnte. Und so stand es nun im heißesten Sommer seit Jahren trocken wie Zündschnüre zwischen den Feldern, gelb und verdorrt, als warte es nur auf den ersten Funken.
In der außerordentlichen Gemeindeversammlung, die Johannes wegen der brenzligen Situation ausnahmsweise schon für den Mittwoch einberufen hatte, wurden die Notfallpläne einhellig als sofort wirksam beschlossen. Niemand wollte kostbare Zeit verschwenden, um die sich möglicherweise anbahnende Katastrophe von der Gemeinde abzuwenden. Helene und Johannes hatten im Anschluss an die Sitzung die Nacht damit verbracht, einen Schichtplan zu erstellen, der alle arbeitsfähigen Klemziger zum Hauen der Feuerschneise einteilte. Im Grunde war diese bereits vorhanden, denn die Siedler hatten aus der früheren Katastrophe gelernt. Das halbe Dorf war seinerzeit abgebrannt, so mancher Bauer hatte außer seinem Haus all sein Vieh verloren, aber das waren nicht die schlimmsten Verluste. Der Sohn vom alten Gösser war in den Flammen umgekommen bei dem verzweifelten Versuch, noch schnell die Schafe von der Koppel zu treiben. Er war nicht der Einzige, der die Kraft und vor allem die Schnelligkeit der Flammen unterschätzt hatte. Eine ganze Familie, die Miegels mit ihren fünf Kindern, wurde ebenfalls von der Wucht des Feuers überrascht. Obwohl sie das Feuer selbst gesehen hatten – oder vielleicht gerade deshalb –, wähnten sie sich in ihrer Hütte am Nordhang sicher. Doch dann schlug plötzlich der Wind um, wie es hier oben in den Hügeln manchmal geschehen konnte, und trieb das Flammenmeer direkt auf sie zu. Wie eine immer größer werdende Walze war das Feuer vom Westen her blitzartig über das offene Land gerollt. Am Ende war es reines Glück, dass nicht das ganze Dorf den Flammen zum Opfer gefallen war.
Heute gab es zwar eine Feuerschneise und auch einen recht ausgeklügelten Handlungsplan für den Fall einer Feuersbrunst. Doch da war dieses trockene Gras, überall – zwischen den Feldern und den Häusern, an den Ufern des Creeks oberhalb des Dorfes und unterhalb in der Talebene. Es würde das reinste Fest für jeden Flammenherd sein. In diesem Sommer hatte niemand Zeit und Kraft gehabt, um die Schneise instand zu halten. Der Sommerweizen stand früh sehr hoch und musste in die Scheunen, bevor er auf den Feldern von der Sonne verbrannt wurde. Da blieb keine Zeit für die Instandhaltung der Schneise. Jetzt sah es so aus, als könnte sich diese Nachlässigkeit rächen. Plötzlich, da die Bedrohung greifbarer wurde, rissen sich die Männer geradezu um die Schichten für die Schneise; manche wollten länger arbeiten und sogar noch nachts das Gras mähen oder gar Bäume fällen. Doch Helene und Johannes schickten die Männer am Abend nach
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