Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Hals.
»Doch, es ist mein Ernst. Ich gehe morgen.« Damit er gar nicht erst versuchte, sie umzustimmen, setzte sie gleich nach: »Ich werde meinen Entschluss nicht ändern.«
»Aber warum, Helene?« Sie sah echte Bestürzung in seinem Blick. Seine Brauen hatten sich zusammengezogen, und sein Griff wurde fester. »Warum? Ich weiß, ich habe einen großen Fehler begangen, und Gott ist mein Zeuge, ich büße jeden Tag dafür. Aber wir hatten doch einen Weg gefunden, um zusammenzubleiben. Oder etwa nicht? Warum willst du mich so plötzlich verlassen? Ich verstehe dich nicht, Helene. Erkläre es mir!« In seiner Verzweiflung schüttelte er sie leicht. Eine eiserne Kralle legte sich um ihr Herz, sie fühlte, wie er litt. Dennoch, sie musste sich unbedingt zusammenreißen. Zu viel hing davon ab. Neu Klemzig brauchte diesen Mann, er war die Seele der kleinen Truppe Deutscher in diesem großen, unbekannten Land. Ohne ihn wären sie verloren, ohne ihn würde der »Himmel auf Erden« über kurz oder lang einstürzen, dessen war sie sich sicher. Sie hatte kein Anrecht auf ihn, er gehörte Anna und den Kindern und danach nur noch dem lieben Gott und der Gemeinde.
Du hast kein Recht, sagte sie sich und wiederholte damit nur, was sie sich schon seit Tagen wieder und wieder beschwörend vorsagte, wenn sie drohte, doch noch schwachzuwerden und ihm alles zu beichten: ihre unendliche Liebe zu ihm einerseits; die Schwangerschaft, Gottfrieds Anmaßung und die Gespräche mit seiner Mutter und Luise andererseits.
Wenn du ihn liebst, musst du ihn verlassen, sagte sie sich, wie um sich selbst Mut zu machen. Er braucht sein Leben hier, um er selbst sein zu können. Das ist der Weg, den Gott ihm vorgezeichnet hat und den er zu Ende gehen muss, für sich und für die anderen, die auf seine Führung und Liebe vertrauen. Dich braucht er dabei nicht. Lass ihn los!
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, als sie ihren Blick auf sein Gesicht richtete, und sagte dann mit fester Stimme, was sie sich schon seit Wochen zurechtgelegt hatte:
»Du weißt selbst, dass es auf Dauer nicht gutgehen kann mit uns. Anna ist meine Freundin, wir leben unter deinem Dach. Jeden Tag fühle ich mich wie eine Verräterin an deiner Frau, deinen Kindern, an ganz Neu Klemzig. Es ist an der Zeit, meinen eigenen Weg zu finden. Verstehst du das nicht?«
Johannes atmete lange aus, bevor er antwortete. Die Tränen liefen ihm nun über die Wangen, als er langsam nickte.
»Natürlich verstehe ich dich, aber es ist so ungerecht. Du verlierst alles, was du dir hier aufgebaut hast. Alle Freunde und alle, die dich lieben.« Er sah sie mit geröteten Augen an, sein Blick traf sie mitten ins Herz. »Das hast du nicht verdient, Helene!« Er machte sich nicht die Mühe, seine Tränen vor ihr zu verbergen. Stattdessen nahm er ihre Hände und hielt sie an seine Wange. Sie spürte die feuchte, warme Haut und streichelte sein Gesicht.
»Ich gehe ja nicht mit leeren Händen. Alles, was ich hier lernen und erfahren durfte, nehme ich mit. Es wird mir auf meiner Reise zu mir selbst helfen. Mach dir keine Sorgen, ich komme schon zurecht.« Sie lächelte ihn an und gab sich Mühe, nicht wieder in Tränen auszubrechen. Er durfte von ihrer Verzweiflung nichts spüren.
»Das weiß ich. Du bist eine außergewöhnlich starke und kluge Frau. Trotzdem: Dieses Land ist so groß und voller unbekannter Gefahren. Wo willst du denn überhaupt hin? Du kennst doch weiter nichts außer den Adelaide Hills!« Seine Augen spiegelten seine Besorgnis wider.
»Ich gehe in die Stadt.«
»Nach Adelaide? Was willst du dort denn tun?« Unruhig suchte er ihren Blick.
»Nein, nicht nach Adelaide. Ich gehe nach Brisbane. Ich werde dort bei einer guten Familie als Gouvernante arbeiten, bis mir etwas Besseres einfällt.«
Helene versuchte, einen optimistischen Eindruck zu vermitteln, doch Johannes runzelte sofort die Stirn.
»Gouvernante? In Brisbane? Ich verstehe dich nicht. Was soll das? So weit weg! Und wie bist du überhaupt an diese Stelle geraten?«
Helene wich seinem verzweifelt wirkenden Blick aus. Ihm offen ins Gesicht zu lügen war noch schwerer, als sie vermutet hatte. Aber sie konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Sie würden sonst zuallererst bei ihrer Schwester in Far North Queensland nach ihr suchen, wenn sie herausfanden, dass sie die Kollekte gestohlen hatte. Es gab ja niemanden sonst in Australien, bei dem Helene sich für eine Weile verstecken konnte. Von der Lüge mit der Gouvernantenstelle in
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