Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Antwort sprang der bullige Mann vom Bock und sah unter den Zweispänner.
»Verdamm mich noch mal! Zur Hölle mit diesem elenden Karren!« Fluchend trat er gegen das Rad, das ihm am nächsten war, so dass Helenes Rocksaum zu zittern begann. Dann murmelte er halblaut vor sich hin, ohne seinen drei Fahrgästen Aufmerksamkeit zu schenken.
»Achten Sie auf Ihre Sprache, guter Mann! Wir haben immerhin ein Kind an Bord.« Helene beugte sich zu ihm hinunter. »Was ist denn los? Können oder wollen Sie den Karren nicht mehr aus dem Dreck ziehen?«
Endlich tauchte sein Kopf wieder auf. Er zog die Mütze ab und kratzte sich am Hinterkopf.
»Tut mir leid, junge Dame, aber ich fürchte, unsere Reise ist vorerst vorbei. Die Achse ist gebrochen.«
Helene wusste genug über Fuhrwerke, um keine dummen Rückfragen zu stellen. Sie ließ sich langsam auf ihre Sitzbank sinken. Eine gebrochene Achse konnte man nicht auf die Schnelle reparieren, und schon gar nicht ohne das entsprechende Material und Werkzeug.
»Was machen wir denn nun?«, fragte sie leise. Ihre Wut war schlagartig verraucht, stattdessen spürte sie, wie sich langsam Verzweiflung in ihr regte.
»Warten, bis jemand vorbeikommt und uns Hilfe holt.«
»Und was meinen Sie, wie lange das dauern wird?«
Der Kutscher setzte seine Mütze auf und zog sich den Schirm tief in die Stirn.
»Kann ich nicht genau sagen. Wenn wir Glück haben, heute noch. Mit einigem Pech erst in drei, vier Tagen.«
»Drei, vier Tage! So lange können wir doch nicht warten.« Unbewusst hatte Helene schützend die Arme um den Bauch gelegt. Amarina hatte die Geste wohl bemerkt, und während Cardinia mit ihren nackten Beinchen lustvoll im Schlamm vor der Kutsche herumhüpfte, richtete Amarina ihren dunklen Blick auf den dichten Dschungel, der wie eine Wand vor ihnen lag. Bäume so hoch wie Häuser, die grünen Schattierungen in ihrem Laubwerk so zahlreich, dass ein ungeübtes Auge Schwierigkeiten hatte, sie überhaupt wahrzunehmen. Wo die dichten Baumkronen einen Sonnenstrahl durchließen, wuchsen riesige Farne. Amarina hob ihren Blick und sah in den Himmel, wohin sich ein Schwarm Papageien vor den menschlichen Eindringlingen geflüchtet hatte. Nach einer Weile wandte sie sich Helene zu, die zusammengesunken auf der Bank saß und nachzudenken schien.
»Wir gehen. Orta-Leute nicht weit von hier. Komm!« Amarina zog die verdutzte Helene am Ellbogen hoch und half ihr, vom Wagen herabzusteigen. »Rede mit Mann. Sag, deine Kiste hierhinstellen.« Sie deutete auf einen Farn von eindrucksvoller Größe, der sich von den anderen durch einen silbrigen Schimmer unterschied. Regentropfen perlten hell wie geschliffene Diamanten von seinen Blättern.
»Wer sind denn diese Orta-Leute, und woher willst du wissen, wie weit es noch zu ihnen ist?« Helene sah die Aborigine fragend an.
»Orta mein Mob, Teil von meine Stamm. Orta-Totem ist große Schlange, sehr mächtige Totem. Komm, müssen gehen bevor dunkel.«
Helene schüttelte Amarinas Arm energisch ab. Das alles hier wurde ihr langsam zu viel und auch zu unheimlich. Amarina war ihres Wissens doch noch nie zuvor hier gewesen. Warum sollte sie sich mit zwei Wilden durch gefährlichen Dschungel kämpfen? Doch Amarina zog sie wieder am Arm, so, als hätte sie ihren Widerspruch gar nicht wahrgenommen.
Jetzt reichte es Helene, wütend stampfte sie mit dem Fuß auf. Rötlicher Schlamm bespritzte ihr weißes Leinenkleid.
Ihre Stimme klang schrill: »Lass mich endlich los! Ich bin nicht eine von deinen madenfressenden Schwestern! Ich ziehe nicht durch dunkle Wälder, um dann nackt ums Feuer zu tanzen, verstehst du? Ich will endlich zu meiner Schwester.« Tränen standen in Helenes übermüdeten Augen.
Plötzlich krümmte sie sich. Ein Schmerz so schneidend wie ein Messer war ihr durch den Unterleib gefahren und ließ sie in die Knie gehen.
»Komm, nicht warten, komm!« Erneut zog Amarina sie hoch, packte mit festerem Griff zu. Vom Schmerz noch wie betäubt, folgte ihr Helene, dieses Mal, ohne Widerstand zu leisten. Cardinia griff nach der Hand der Mutter, als Helene sich zum Kutscher umdrehte. Sie keuchte, und die Worte kamen ihr nur stockend über die Lippen.
»Die Kiste. Stellen Sie die Kiste verdeckt unter den silbernen Farn dort drüben, und merken Sie sich die Stelle, hören Sie? Falls sie noch da sein sollte, wenn Sie das nächste Mal hier vorbeikommen, unterrichten Sie bitte die Behörden, damit sie nach mir suchen.« Der Kutscher nickte verdattert,
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