Der geheimnisvolle Gentleman
verstummen.
Als er sie losließ, neigte Olivia rasch den Kopf, um das Brennen in ihren Augen vor ihm zu verbergen. Das Geräusch seines auf dem Pflaster aufschlagenden Kopfes hatte sie tief getroffen, wie die Spitze eines eisigen Speeres. Sie hatte fürchterliche Angst gehabt, er könnte ernstlich verletzt sein, und ihr Innerstes hatte vor Panik gezittert, selbst als sie die Sache in die Hand genommen und ihre Befehle gebellt hatte.
Sie waren erst seit zwei Tagen verheiratet, aber schon jetzt konnte sie sich nicht mehr vorstellen, wie sie ohne ihn sein sollte.
8. Kapitel
D u wirst diese Nacht nicht ohne mich verbringen«, beharrte Olivia. Mit verschränkten Armen stand sie breitbeinig vor ihm wie ein Generalmajor. Dane war immer noch erstaunt, mit welcher Leichtigkeit sie sich ihm widersetzte. »Ich bestehe darauf, bei dir zu bleiben«, fuhr sie fort. »Kopfverletzungen können sehr gefährlich sein. Wenn du zu tief schläfst, könnte es sein, dass du nicht mehr aufwachst!«
Dane verknotete den Gürtel seines Morgenmantels und schickte seinen nervös um ihn herumflatternden Kammerdiener mit einer Bewegung seines Kopfes fort. Proffit verließ das Zimmer, nicht ohne Olivia mit einem verächtlichen Blick zu bedenken. Die Dienerschaft brauchte ziemlich lange, um mit Olivia warm zu werden, warum auch immer.
Danes Kopf schmerzte, und es gab Wichtigeres, worüber er sich Gedanken machen musste, als unzufriedenes Personal. Falls Olivia mit einem der Diener Probleme haben sollte, dann würde sie schon wissen, was zu tun war. Ihre Mutter hatte ihm versichert, dass Olivia eingehend damit vertraut war, ein großes Haus zu führen.
Die Kammerzofe, die er für sie eingestellt hatte, klopfte an die Verbindungstür zu ihrem Schlafzimmer. »Euer Bad ist fertig, Mylady.«
Olivia zerrte irritiert an ihrem zerfetzten Kleid herum. »Ich muss diesen Dreck loswerden. Versprich mir, dass du mich nicht aussperrst, wenn ich gehe.«
Dane musste lächeln. »Ist es nicht üblicherweise die Dame, die den Gentleman aussperrt?«
Sie kniff die Augen zusammen. »Dir ist alles zuzutrauen. Du scheinst allergisch gegen Hilfe zu sein.«
Dane winkte ab. »Jetzt nimm schon dein Bad, und wasch
dir den Pferdedreck aus den Haaren. Ich werde wie ein braver Junge ins Bett gehen. Du kannst nach mir sehen, wenn du fertig bist.«
»Hm.« Um sicherzugehen, dass er sie nicht aussperrte, zog sie einen Schemel in die leicht geöffnete Tür und verhinderte so, dass sie ganz zufiel. »Damit ich dich höre, wenn du nach mir rufst.«
Dane nickte stumm. Sein Kopf tat weh, und er musste über vieles nachdenken – nicht zuletzt über den Vorfall an diesem Abend. Er lag auf seinem riesigen Bett, das eigens nach seinen Wünschen angefertigt worden war. Die Decke ging ihm nur bis zur Hüfte. Der Baldachin über ihm umschloss ein Deckengemälde. Es war eine Darstellung der Sirenen, die die Seeleute in den Tod lockten. Der Künstler hatte gegrinst, als er den Auftrag annahm. Zweifellos hatte er geglaubt, dass der erotische Anblick der barbusigen Frauen Danes Nächte versüßen sollte. Aber das Gegenteil war der Fall. Dane ging es um die nächtliche Mahnung, sich niemals von der Versuchung leiten zu lassen.
Doch heute Nacht verschloss er die Augen vor dem Bild über ihm. Er hatte am vergangenen Abend nicht zugelassen, dass Olivia ihn von seinen Pflichten ablenkte, auch bedauerte er keineswegs, dass er danach so sehr von ihr gefangen gewesen war. Wenn er sie nicht so genau beobachtet hätte, hätte er niemals verhindern können, dass sie niedergetrampelt worden wäre.
Alles in allem musste er sich eingestehen, dass er seinen Verpflichtungen seinem Land und seiner Ehe gegenüber gerecht geworden war.
Es war zu schade, dass sie vergessen hatte, welche Pläne sie für heute Nacht gehabt hatten. Er hatte sich schon so darauf gefreut, ihre Unterweisung fortzusetzen.
Natürlich nur um eines Erben willen.
In der Stille der Nacht und mit geschlossenen Augen hörte er das leise Plätschern aus Olivias Zimmer. Sie musste Petty zu
Bett geschickt haben, denn er vernahm keine Stimmen, nur das Geräusch von Wasser, das gegen die Ränder der Wanne schwappte.
Wegen der Kälte war sie bestimmt nahe am Kamin. Im goldenen Licht der Flammen würde ihre schimmernde Haut erglühen. Sie würde eintauchen und sich wieder aufrichten, und ihre Haare würden einem dunklen, goldenen Strom gleich über ihren Rücken fließen und ihren langen Hals und ihre weißen Schultern entblößen, ihre
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