Der geheimnisvolle Gentleman
zu und reichte ihr eine ihrer neuen Visitenkarten. »Guten Morgen. Empfängt Mrs Blythe heute?«
Die Frau schaute sie für einen kurzen Moment neugierig an, dann nahm sie die Karte entgegen. Sie studierte die geschwungene Schrift, hob ruckartig den Kopf und starrte Olivia aus weit aufgerissenen hellblauen Augen an. »Mylady? Ihr wünscht, Mrs Blythe zu sprechen?«
»Bitte, sagt Mrs Blythe, dass ich sie zu sprechen wünsche, wenn sie die Zeit dafür hat.«
Die Frau nickte schwach und trat zurück, wobei sie Olivia immer noch anstarrte. Als Olivia über die Türschwelle schritt, war sie von der Dunkelheit des Hauses überrascht.
»Bitte, hier entlang, Mylady.«
Ein Mann stand auf der anderen Seite des kleinen Parks und geriet völlig aus der Fassung, dass er nicht einmal den Regen bemerkte.
Was machte Lady Greenleigh in diesem Haus?
Zwar versuchte sie, die Gunst Seiner Lordschaft zu gewinnen, und es stand außer Frage, dass sie das eine oder andere in Londons berüchtigtstem Bordell lernen könnte, aber eine Frau ihres Standes sollte nicht einmal wissen, dass es solche Häuser gab, oder zumindest so tun, als wüsste sie es nicht.
Doch dann schob der Mann seine Sorge beiseite. Dies war
nur eine unerwartete Entwicklung. Er wusste, was er zu tun hatte.
Ja, sie befand sich gerade an einem Ort, an dem sie nichts zu suchen hatte. Wenn Seine Lordschaft davon erführe, würde er sehr wahrscheinlich gänzlich die Hände von ihr lassen.
Was für ein wundervoller Gedanke.
Olivia wurde in einen Salon geführt, dessen vorherrschende Farbe Violett war.
Nachdem sie ihren Hut und ihre Handschuhe bei der Hausdame abgegeben hatte, nahm Olivia auf einem schreiend violetten Sofa Platz und betrachtete erstaunt die mit Samt verkleidete Decke. Selbst der Kaminsims bestand aus violett durchzogenem Marmor.
Kein Wunder, dass Mrs Blythe die Vorhänge zugezogen hielt. Wenn man derart opulente Farben bevorzugte, musste man verhindern, dass sie ausblichen.
»Zu viel ist nie genug«, murmelte sie vor sich hin. Langsam überkam sie das Gefühl, fehl am Platze zu sein.
»Genau, was ich immer sage«, ertönte eine tiefe, melodische Stimme von der Tür her.
Olivia wandte sich um und erblickte eine stämmige Frau in mittleren Jahren, die, wie konnte es anders sein, ein violettes Kleid trug. Selbst ihre unnatürlich schwarzen Haare hatten einen glänzenden, violetten Schimmer. Olivia stand auf. »Mrs Blythe, ich bin Lady Greenleigh.«
Mrs Blythe schwebte graziös ins Zimmer, und ihr Knicks besaß genau den richtigen Hauch von ernsthaftem Stolz. Olivia beschloss, diese besondere Bewegung zu üben.
»Mylady, ich fühle mich geehrt von Eurem Besuch«, sagte sie, während sie Olivia zum Sofa führte. »Was verschafft mir das Vergnügen?«
Olivia lächelte und neigte den Kopf zur Seite. »Ich bin gekommen, um Euch um Hilfe zu bitten.«
Mrs Blythe blinzelte. Offenbar war sie überrascht. »Ich
wüsste nicht, wie ich Euch helfen kann, Mylady. Ich habe niemals, ähm, Euer Ehemann, Seine Lordschaft, gehört nicht zu meinen persönlichen Bekannten, wisst Ihr?«
Olivia zuckte mit keiner Wimper. »Aber der Prinzregent gehört dazu, nicht wahr?«
Mrs Blythe schluckte hörbar. »Auf gewisse Weise schon, ja.« Sie räusperte sich. »Mylady, vielleicht solltet Ihr besser erklären, wobei Ihr meine Hilfe benötigt.«
Olivia nickte kurz. »Ja, wir dürfen keine Zeit verlieren.« Sie faltete die Hände im Schoß. »Mrs Blythe, ich brauche Eure Hilfe, um einen Jagdball zu geben, den die Gesellschaft niemals vergessen wird.« Sie umriss die allgemeinen Bedingungen, den Ort, die Anzahl der Gäste, Danes wahnwitzigen Zeitplan. Ihre Gastgeberin starrte sie schockiert an. »Ja, ich weiß schon«, versuchte Olivia, sie zu beruhigen. »Eine so unmögliche Aufgabe kann auch nur ein Mann stellen.«
»Mylady, seid Ihr Euch sicher? Weiß Lord Greenleigh von Euren Plänen?«
»Selbstverständlich.« Olivia reckte das Kinn. »Mein Mann vertraut mir, dass ich seinen Gästen eine ausgesprochen anspruchsvolle Unterhaltung bieten werde. Geschmackvoll natürlich. Könnt Ihr mir helfen? Eure Einladungen sind für ihre Originalität berühmt. Ich will sichergehen, dass ganz London von meinem Jagdball spricht.«
Mrs Blythe kniff die Augen zusammen. »Lord Greenleigh ist also von der abenteuerlustigen Sorte? Er schien mir eher, nun, zahm. Ich will Euch ja nicht zu nahe treten.«
Olivia würde es nie in den Sinn kommen, einen Mann wie Dane als »zahm« zu
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