Der geheimnisvolle Gentleman
zu ihr hinunter. »Olivia, hast du dir wehgetan?«
Eilig versteckte sie das elfenbeinerne Spielzeug unter einer Falte ihres Rockes. Leider ließ ihr das keine Zeit mehr, sich zu sammeln.
Der Lakai, der die Kutschentür bereits geöffnet hatte, starrte Olivia erschrocken an. Er lehnte sich zurück und rief dem Kutscher im scharfen Tonfall etwas zu, der daraufhin vom Kutschbock sprang und ebenfalls ins Innere der Kutsche starrte. In null Komma nichts stand das gesamte Personal da und stierte seine mitgenommene Herrin an.
Dane half ihr vorsichtig auf. Dann bestrafte er den Kutscher mit einem zornigen Blick. »Was fällt dir ein, Mann? Lady Greenleigh hätte sich wegen deiner Unfähigkeit verletzen können!«
Der Kutscher sackte vor Danes Zorn in sich zusammen. Olivia sah, wie die Blicke der anderen Dienstboten, die natürlich wussten, dass der Kutscher nichts falsch gemacht hatte, eisig auf ihr ruhten.
Sie fühlte sich wie ein Idiot, wie ein tollpatschiger, hirnloser Dorftrampel, der nicht einmal wusste, wie man in einer Kutsche fährt. »Äh, Mylord, Errol trifft keine Schuld.« Wenigstens den Namen kannte sie. »Ich befand mich nicht auf meinem Platz.«
Dane schaute sie irritiert an. »Wo sonst?«
Alle Augen ruhten auf ihr. Sie wollte nicht, dass Errol bestraft wurde, aber sie konnte ja wohl nicht sagen: »Auf Eurem Schoß.«
Und doch, irgendwie tat sie es, ohne es selbst so recht zu bemerken. Unterdrücktes Kichern breitete sich unter den Zuschauern aus. Selbst Dane hielt sich die Hand vor den Mund, und seine blauen Augen lachten ihr zu.
Nur der Kutscher schaute sie voller Mitleid und unverhohlener Bewunderung an. Sie hatte sich selbst zum Gespött gemacht, um ihn zu retten, und er wusste das.
Dane drehte sich um und verscheuchte die Meute mit einem Winken. »Wir rasten für eine Stunde. Geht, doch kommt nicht zu spät zurück. Wir warten auf niemanden.«
Danes Mundwinkel zuckten. »Ich bewundere deine Aufrichtigkeit, meine Liebe. Allerdings wäre es mir lieber, wenn du mir in Zukunft einfach sagen würdest, wenn du mit mir unter vier Augen sprechen möchtest. Es bestand kein Grund zur Besorgnis. Ich hätte Errol nur etwas zurechtgewiesen, mehr nicht.«
Natürlich. Es war dumm von ihr gewesen zu denken, Dane würde einen langjährigen Angestellten wegen eines angestoßenen Hinterns entlassen. Dane stieg aus, Olivia hingegen blieb, wo sie war, bis sie sicher sein konnte, dass alle Dienstboten außer Sichtweite waren.
Sie würde niemals elegant sein, vornehm oder auch nur
das kleinste bisschen gelassen. Sie hatte es einfach niemals gelernt. Sie barg das Gesicht in den Händen. Sie konnte nicht nur Mutter die Schuld geben, denn Olivia hatte einen Gutteil ihrer Aufgaben versäumt, wenn ihre Eltern zu Hause gewesen waren. Sie hatte es vorgezogen, zum Dorf zu reiten oder zum Fluss oder einfach irgendwohin, nur um ihnen aus dem Weg zu gehen.
Mutter hatte halbherzig geschimpft und Cheltenham schnell wieder verlassen, während Olivia dort blieb und tun und lassen konnte, was ihr beliebte. Walter war der Lichtblick der Familie gewesen, nicht sie.
Olivia dachte an Errols mitleidigen Blick, als sie sich aufrichtete und ihre Röcke ausklopfte. Einer weniger unter der Dienerschaft, der sie nicht ausstehen konnte. Sie würde sie einen nach dem anderen auf ihre Seite ziehen, und wenn es Jahre dauern würde.
Man servierte ihr das Essen in einem privaten Esszimmer des Gasthauses, aber sie stocherte nur darin herum. Dane steckte irgendwo mit Marcus, und sie taten wahrscheinlich das, was sie immer stundenlang taten.
Olivia spießte ein Stückchen kalten Braten mit ihrer Gabel auf und betrachtete es nachdenklich. Was beredeten Dane und Marcus eigentlich den ganzen Tag? Geldgeschäfte. Investitionen.
Sie erinnerte sich daran, wie Dane und Marcus die Gesellschaft der beiden anderen Gentlemen auf Mutters Dinnerparty gesucht hatten. Diese Angelegenheiten schienen also den netten Lord Reardon und den äußerst gut aussehenden Lord Wyndham mit einzuschließen.
Ein Gesprächsfetzen kam ihr in den Sinn, eine Erinnerung, die durch die nachfolgende Episode heißer Leidenschaft im Flur fast in Vergessenheit geraten war.
Was wir brauchen, ist die richtige Frau.
Eine Falte bildete sich auf ihrer Stirn, während sie den
Fleischbissen mit leerem Blick anstierte. Die richtige Frau wofür?
Der Mann beobachtete das Kommen und Gehen im Gasthof von einer dunklen Ecke des Schankraums aus, wo er mit einem Bierkrug saß, der
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