Der geheimnisvolle Gentleman
dagegen an. »Natürlich. Ich beneide dich um die frische Luft. Ich bin mir sicher, du wirst den Ritt ungeheuer genießen.« Wider ihrem Willen gelang es ihr, Marcus ein wohlwollendes Lächeln zu schenken, an dem sie fast erstickte. »Es
ist mir eine Ehre, die Kutsche mit Euch zu teilen, Marcus. Wir werden viel Spaß miteinander haben.«
Marcus grinste und nickte, als er die Stufen hochstieg und ihr gegenüber Platz nahm. Er war gestern Abend mit ihr gefahren, als Olivia etwas traurig und niedergeschlagen gewesen war. Olivia verdoppelte das Strahlen ihres Lächelns. »Ich fühle mich heute schon sehr viel besser«, sagte sie. »Die Sonne scheint, und wir werden heute ankommen. Ich freue mich schon sehr auf Kirkall.«
Dane schnaubte. »Das Wetter schlägt noch um. Wir müssen uns beeilen.« Er nickte Olivia zu. »Wir sehen uns später.« Dann schloss er die Tür und ging zu seinem Pferd, sein gut gebauter Körper so angespannt wie eine Sprungfeder. Er sah aus wie eine große Katze, die unbedingt etwas töten wollte.
Olivia riss sich vom Anblick von Danes Rücken los und sah, dass auch Marcus ihm voller Sorge hinterherschaute. Dann lächelte Marcus und lehnte sich in die Samtkissen zurück. »Und womit sollen wir uns die Zeit vertreiben, Mylady? Mögt Ihr Anagramme?«
Wortspielereien. Olivia zwang sich, keine Grimasse zu ziehen. Eine Viscountess verzog niemals das Gesicht. Sie nickte ergeben. »Wenn Ihr mögt, Mylord. Soll ich anfangen?« Er nickte zustimmend. »Hm.« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Genf Yard Debut.«
Marcus schloss die Lider. »Genf …« Er riss die Augen auf und lachte laut. »Gebt auf, Dryden!«
Immer noch lachend schüttelte er den Kopf. »Ich glaube, ich habe mein meisterliches Gegenstück gefunden, Mylady. Also gut, Ihr sagt, was Ihr spielen wollt.«
»Schön.« Sie schürzte die Lippen. »Es gibt da ein Spiel, das heißt: ›Erzählt mir amüsante Geschichten über meinen Mann.‹«
Marcus lächelte verschwörerisch. »Davon kenne ich einige. Wartet, da gibt es zum Beispiel die, als er von einer Brücke sprang, um eine junge Dame zu retten …«
Olivia neigte den Kopf zur Seite. »Wisst Ihr, eigentlich habe ich ihn gerettet. Er ist mit den Füßen im Schlamm stecken geblieben wie ein Zugpferd.«
Marcus runzelte die Stirn. »Oh, dann kennt Ihr die also. Ich hatte keine Ahnung, dass Ihr darin vorkommt.«
Sie blinzelte. »Gibt es denn noch andere?«
Marcus grinste. »Leiht mir Euer Ohr, Mylady.«
Olivia machte es sich bequem, so wie sie früher immer Walters Geschichten gelauscht hatte: Sie zog die Beine an und legte ihre Füße neben sich auf die Kissen. »Fahrt fort«, sagte sie ungeduldig.
Draußen ritt Dane ein paar Meter voraus. Er war nicht weit genug weg, um das fröhliche Gelächter, das aus der Kutsche drang, zu überhören. Marcus hielt sie nur bei Laune, genau wie er ihn gebeten hatte. Aber wie sollte er nachdenken bei diesem glockenhellen Lachen, das ihn an ihr Lächeln denken ließ und an ihre Lippen und ihre Küsse...
Er musste mit seinen Gedanken bei seinem Auftrag bleiben, bei dem, der jetzt bevorstand, und bei dem größeren, der sein ganzes Leben beherrschte. Er war der Löwe. Er durfte seine Aufmerksamkeit und seine Urteilsfähigkeit nicht von einer Frau beeinflussen lassen, unabhängig davon, wie anziehend sie war.
Ein weiterer Ausbruch von Heiterkeit war aus der Kutsche zu hören und erregte seine Aufmerksamkeit. Marcus war offensichtlich sehr charmant. Dane gefiel das gar nicht, doch was fast noch schwerer wog, war die Tatsache, dass ihm seine eigene Reaktion überhaupt nicht behagte.
Die ganze Gesellschaft war erschöpft und froh, dass die Reise endlich zu Ende war, als sie an den Pforten von Kirkall vorfuhren.
Der Torwächter hatte sie bereits erwartet; Fackelträger rannten den Kutschen voraus durch die einfallende Dunkelheit. Olivia hatte sich schließlich in oberflächlichen Plaudereien
mit Marcus ergangen. Irgendwann war sie in Schweigen verfallen, hatte sich bald darauf auf ihrer Seite zusammengerollt und war eingeschlafen. Das war nicht besonders vornehm, aber es handelte sich ja nur um Marcus. Er hätte genauso gut Walter sein können, so entspannt war sie in seiner Gegenwart.
Olivia ließ sich von einem Lakai aus der Kutsche helfen und schaute sich nach Dane um. Es war fast unmöglich, ihn zu übersehen, denn er stand inmitten des Durcheinanders und brachte Ordnung ins Chaos.
Marcus ergriff ihren Ellenbogen. »Ich gehe mit Euch hinein.
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