Der Geheimtip
ein, daß der Kerl von Hundertfünfzehn, der heute morgen abgereist war, ohne Trinkgeld zu geben, ein Jackett in Zartflieder im Schrank hatte hängen lassen. Eigentlich hätte er das schon melden müssen, aber wie das Leben so spielte … jetzt würde er es dem neuen Gast geben. Und sich eine Quittung von einem Herrengeschäft besorgen. Ein Schnäppchen! Der Kerl von Hundertfünfzehn, der sich jede Nacht mit einer anderen Lady verlustiert hatte, würde es wahrscheinlich sowieso nicht merken. Mindestens fünfzehn Anzüge hatte er im Schrank gehabt. Einer verrückter und teurer als der andere.
Egon schaltete das Fernsehen ein und ließ tapfer eine Sendung über sich ergehen, von der er kein Wort verstand. Wenn man schon Fernsehen im Hotelzimmer hatte, sagte sich Oberbuchhalter Meier, dann mußte man es auch ausnutzen. Irgendwann schlief er trotzdem ein, berieselt von portugiesischen Lauten.
Als er halb erwachte, stellte er das Gequatsche ab, zog die Hose aus und rollte sich ins breite Bett. Der Schlafanzug blieb unberührt. Er wäre Egon Meier sowieso zu schade fürs Bett gewesen.
Silva eilte, nachdem sie Egon Meier allein zurückgelassen hatte, in ihr Zimmer im Personaltrakt und wählte die Privatnummer eines gewissen Rino Peinto. Zu diesem Feuerkopf italienischen Ursprungs hatte sie zwar keine intimen Beziehungen mehr, aber aus Trotz und um ihren Vater zu ärgern, hielt sie freundschaftlich an ihm fest.
Er war nämlich der Grund dafür, daß Silva ihr Elternhaus verlassen und sich als Hotelsekretärin im ›Reid's‹ auf eigene Beine gestellt hatte.
Die Voraussetzungen dafür brachte sie mit. Ihr Glück! Schließlich hatte sie in Schweizer Spitzeninternaten mehrere Sprachen fließend gelernt und sich in Buchführung, Reiten, Tennis, Golf, Literatur, Grundlagen der Psychoanalyse, Geographie, Tanzen – speziell Tango – und im Umgang mit Computern und Mitmenschen schulen lassen.
Silva dachte nicht weiter darüber nach, daß ihres Vaters Geld ihr diese Grundlage für einen Beruf geliefert hatte, sondern schrieb ihren Aufstieg im Hotel – vom Mädchen für alles zur unentbehrlichen Stütze der Direktion – einzig und allein ihrer eigenen Tüchtigkeit und Strebsamkeit zu. Nicht ganz zu Unrecht, denn sie besaß eine natürlich verbindliche Art, einen besonderen Charme, der beruhigend auf nervöse Gäste wirkte, und ihre reizende Erscheinung, die sie allerdings zum Teil ja auch dem Papa verdankte. Außerdem hatte sie etwas von der Umsicht und Entscheidungsfreude geerbt, mit der ihr Vater seine Karriere geschafft hatte. Silva war beliebt bei Vorgesetzten und bei den kleinen Lichtern bis hinab zum Gepäckboy.
Rino meldete sich mit seiner Reibeisenstimme.
»Pronto!«
»Rino, hier ist Silva«, sagte sie auf portugiesisch. »Ich habe eine Frage.«
»Ah, Silva, wie nett, daß du mich auch einmal anrufst! Du weißt, wenn ich dir helfen kann, dann tue ich es. Also, schieß los, Schätzchen!«
»Sag mal, Rino, es geht um einen gewissen Miguel Pallando. Mir ist so, als hätte ich einiges über ihn gehört, das nicht unbedingt vorteilhaft war. Du müßtest eigentlich Bescheid wissen. Ist er vielleicht eine – hm – eine windige Erscheinung?«
»Ah, du kommst gleich zur Sache. Wie immer, Schätzchen. Tja, nun, Miguel Pallando … gewiß, ich kenne ihn. Oh, ja, er ist eigentlich nicht windiger als andere, würde ich sagen, nicht mehr und nicht weniger. Warum fragst du? Gibt es da etwas Spezielles?«
Silva zögerte. Dann entschloß sie sich jedoch, zur Sache zu kommen:
»Hier ist ein Mann aus Deutschland abgestiegen. Der will ein Geschäft mit Pallando tätigen.«
»Ein größeres Geschäft? Was meinst du?«
»Ein sehr großes Geschäft, falls er mir die Wahrheit gesagt hat. Und er wirkte völlig aufrichtig. Meistens kann ich mich ja auf meine Menschenkenntnis verlassen«, erklärte Silva.
Kannst du nicht, dachte Rino. Du hast dich doch auch in mir mächtig geirrt. Aber er ließ sich nichts anmerken.
»So? Was für ein Geschäft könnte das sein? Weißt du Näheres?« fragte er zuckersüß. Sein Herz jagte und pochte wie ein Rennmotor.
Rino Peinto war nebenberuflich ein kleiner Zuarbeiter der Mafia, die ihn in seinen Job eingeschleust hatte. Aber hier, weit vom scharfen Schuß, konnte er manchmal auch ein privates Schäfchen ins Trockene bringen. Eins, das die Mafia nicht interessierte oder von ihr unentdeckt geblieben war.
Als nun Silva, seine große Liebe von vorgestern, diesen Typ aus Deutschland erwähnte,
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