Der gehetzte Amerikaner
Tasche
ziehen, da erhielt er einen starken Schlag in den Nacken, und mit einem
unterdrückten Schmerzensschrei fiel er nach vorn auf das Gesicht.
9
Als Brady die Augen wieder aufschlug, lag er noch immer auf dem
Fußboden. Nur ein Attribut war neu zur Szene hinzugekommen: In
seine rechte Hand hatte jemand eine Pistole mit einem
Schalldämpfer gequetscht!
Dieser Gegenstand kam ihm sofort bekannt vor, sogar
sehr bekannt. Es war die Pistole, mit der Anton Haras in Manningham
versucht hatte, ihn zu erschießen!
Er konnte nicht länger als höchstens
fünf Minuten bewußtlos gelegen haben, soviel war klar. Er
rappelte sich auf die Füße, setzte sich auf die Bettkante
und massierte sich die Nackenmuskulatur.
Was für ein Narr er gewesen war, was für ein
blinder, stumpfsinniger Narr! Der frische Pulvergeruch in der Luft
hätte ihn warnen müssen! Vielleicht waren die tödlichen
Schüsse erst abgefeuert worden, als er schon die Treppe
emporstieg, und dann war er vertrauensselig in die Wohnung
hineinmarschiert wie ein Lamm zu seinem Schlächter!
Eines war jedenfalls sicher: Wenn die Polizei ihn hier
erwischte, war er erledigt. Und genau das war offensichtlich die
Absicht von Haras. Diesmal würde ihm, Brady, die Todeszelle sicher
sein, bis zum bitteren Ende an irgendeinem kalten, grauen Morgen.
Der Raum war jetzt in wilder Unordnung. Das unterste war
zuoberst gekehrt, Schubladen waren aufgezogen,
Kleidungsstücke lagen überall verstreut. Es war kaum
wahrscheinlich, daß der Ungar etwas übersehen hatte, was ihn
belasten könnte.
Brady riß sich zusammen und ging schnell hinüber in das
andere Zimmer. Als er die Stufen zur Eingangstür der Wohnung
hinaufstieg, blieb er noch einmal stehen. Über einen Stuhl hing
der Regenmantel einer Frau, und darunter lag eine Handtasche.
Offensichtlich hatte die Wohnungsinhaberin vorgehabt, auszugehen.
Vielleicht hatte nur die Ankunft von Haras sie davon abgehalten.
Schnell schüttete Brady den Inhalt der Handtasche
auf den Fußboden und breitete ihn mit einer Hand auseinander. Er
fand ein paar Banknoten, einige Münzen, Lippenstift, Puder und
Wagenschlüssel. Unter diesen Nichtigkeiten fand sich aber auch ein
Brief, der vor kurzem erst geöffnet worden war und der auf seiner
Briefmarke den Stempel vom gleichen Tag trug. In einer
säuberlichen, etwas eckigen Schrift war er adressiert an Miss Jane
Gordon, Carley Mansions, Baker Street. Brady holte den Bogen aus dem
Umschlag und überflog ihn rasch.
Das Schreiben war so kurz wie nur möglich:
»Liebe Jane, ich hoffe, Dich heute abend zu
sehen. Von neun Uhr an werde ich frei sein. Deine Dich liebende
Mutter.«
Was jedoch Bradys besonderes Interesse erweckte, war
der gedruckte Briefkopf. Er lautete: »2 Edgbaston, Square,
Chelsea«.
Mary Duelos hatte in Edgbaston Gardens gewohnt, das
war in unmittelbarer Nachbarschaft von Edgbaston Square; was hatte das
alles wohl zu bedeuten?
Für einen Augenblick tauchte plötzlich
wieder jene Straße mit ihren schmalen viktorianischen
Häusern, mit dem Friedhof und der Kirche in seiner Erinnerung auf,
und etwas Elementares regte sich in ihm und ließ ihm die Haare im
Nacken sich sträuben. Es war ihm, als ob er plötzlich Angst
empfände – eine Angst, an jenen Ort zurückzukehren.
Mit einem zornigen Lachen schüttelte
er schließlich dieses Gefühl ab und öffnete die
Tür. Was auch immer geschehen war, er mußte dorthin
zurückkehren; es blieb ihm keine andere Wahl.
Als er wieder in den Hausflur hinunterkam, war der
Portier noch immer in seine Illustrierte versunken. Brady ging schnell
an ihm vorbei zur Haustür und war bereits in der Dunkelheit
verschwunden, als der Mann aufschaute.
Während Brady den Bürgersteig entlangeilte,
schrillte hinter ihm eine Sirene durch die Nacht, und ein Polizeiwagen
fegte von der Marylebone Road her um die Ecke. Vor dem Carley Mansions
kam er zu stehen.
Brady ging unbeirrt weiter und beschleunigte nur etwas
seine Schritte. Ein paar Minuten später wurde er vom starken
Verkehr verschluckt, stieg in seinen Wagen und fuhr davon.
Die Luft roch nach Nebel, nach jenem typischen
Londoner Nebel, der gelblich und drohend von der Themse aufsteigt und
die gesamte Stadt in seine Wattewolken einhüllt.
Dieser Umstand kam Brady jedoch nicht ungelegen; er erleichterte ihm vielmehr manches von seinem Vorhaben…
Er kam an einem Verkehrspolizisten vorbei, der an
einer Kreuzung den Verkehr regelte. Die
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