Der Geist des Highlanders
darüber empfinden - ganz gleich, wie sehr der bloße Anblick ihrer Schönheit ihn zum Seufzen brachte ... ob aus Erlösung oder vor Entsetzen, konnte er allerdings nicht sagen.
Entschlossen drehte er sich um und marschierte in den großen Saal zurück. Dort zog er sein Schwert aus Rodericks Brust, nicht ohne sich abfällig über den schwächlichen Stutzer zu äußern. Mit einem gewaltigen Stoß beförderte er dann das Schwert wieder in die Scheide und rief sich zur Ordnung.
Jawohl, er würde sie erschrecken und für immer vergraulen, und er würde es mit Freuden tun.
Trotz ihrer Schönheit. Wegen ihrer Herkunft.
5
Rasch ging Victoria den schmalen Weg hinunter, der vom Schloss weg führte. So schnell hatte sie es eigentlich nicht wieder verlassen wollen. Sie hatte in dem prachtvollen Saal stehen wollen, in den ungehindert die Sonne strömte. Dort hatte sie das Gefühl gehabt, sich im Mittelalter zu befinden. »Ich hoffe, du hast einen wichtigen Grund, um mich da wegzuholen«, sagte sie zu Fred.
»Den habe ich.«
»Und erzähl mir nicht schon wieder was von Gespenstern.«
»Nein, Michael Fellini ist unzufrieden damit, wie er untergebracht ist.«
»Oh«, sagte Victoria atemlos. Atemlos vor allem deshalb, weil sie unmittelbar in Laufschritt verfallen war. Der Star ihres Stücks durfte auf keinen Fall verstimmt sein, weil ihm die Tapete in seinem Zimmer nicht gefiel.
Als sie am Gasthaus angekommen waren, rang sie nach Luft. Sie musste unbedingt mehr Sport treiben. Der gelegentliche Sprint zur Subway reichte für sie anscheinend nicht aus.
»Fellini beschwert sich lautstark«, stellte Fred fest. »Hörst du ihn?«
Victoria beschloss, dass sie später wieder Atem schöpfen konnte. Jetzt musste sie die Situation retten, bevor alles noch schlimmer wurde.
Sie öffnete die Tür und trat schwungvoll ein, wie es sich für eine Regisseurin gehörte. Auf der Schwelle blieb sie jedoch abrupt stehen. Mit diesem Anblick hatte sie nicht gerechnet.
Nun ja, nicht alles war überraschend. Michael stand da,
mit einem Gesichtsausdruck, als wolle er sagen: Gib mir sofort, was ich will, sonst rufe ich meinen Agenten an. Neben ihm stand Cressida Blankenship, ihre Hauptdarstellerin, und eine einzelne Träne rann ihr über die Wange, während sie zweifelnd auf den Schlüssel zu dem offensichtlich falschen Zimmer schaute. Mrs Pruitt warf beiden böse Blicke zu.
Was sie jedoch nicht erwartet hatte, war die alte Dame, die, umgeben von Designer-Gepäck und mit einem durchsichtigen Plastikbeutel voller bunter Wolle und mehreren Paar Stricknadeln in allen möglichen Stärken und Materialien über dem Arm neben den beiden Schauspielern stand. Victoria erkannte die Nadeln sofort - die Frau, der sie gehörten, war ihre Großmutter.
»Granny!«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Was machst du denn hier?«
»Sie will mein Zimmer«, sagte Michael laut.
Victoria blickte ihn an wie hypnotisiert. Ihr Herz schlug schneller.
Das kam natürlich von ihrem kleinen Dauerlauf, aber vielleicht auch nicht.
Michael Fellini war einfach perfekt. Seine dunklen Haare waren etwas länger und fielen ihm so perfekt in die Stirn, wie es außerhalb eines Friseursalons nur selten erreicht wird. Sein Gesicht war ebenmäßig, seine Augen von einem tiefen Schokoladenbraun, sein Mund sinnlich. Und das war nur das Gesicht; der Rest war nicht minder göttlich.
Er war etwa einsachtzig groß und schlank, verfügte jedoch auf der Bühne über eine kraftvolle Ausstrahlung. Je nach Rolle erschien er wie ein König oder ein Bauer, verrückt oder befehlsgewohnt.
Und das war nur der Teil, den Victoria bei dieser Einladung zum Tee gesehen hatte.
Jetzt hatte sie das Gefühl, dass sie noch ganz andere Emotionen bei ihm entdecken würde, wenn nicht bald etwas geschah. Aber es fiel ihr schwer, sich völlig auf Michael zu konzentrieren, weil Cressida angefangen hatte, sich laut und weinerlich über ihr Zimmer zu beklagen. Mrs Pruitt tat ihr Bestes, um sie niederzuschreien. Und Granny stand einfach nur da und lächelte mitfühlend.
Victoria holte tief Luft, um ein Machtwort zu sprechen, als ein Schrei ertönte, der sie alle zum Schweigen brachte.
Der Schrei dauerte an.
»Das ist Gerard«, erklärte Fred erschöpft.
Victoria konnte sich durchaus vorstellen, was - oder wer
- ihm diesen Schrei entlockt hatte. Sie warf der Gruppe vor sich einen warnenden Blick zu.
»Jetzt wird nicht mehr gestritten. Cressida, du nimmst mein Zimmer«, sagte sie. »Mrs Pruitt, geben Sie
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