Der Geist des Nasredin Effendi
aufgehen mußte. Keinen Augenblick zu früh, wie sich herausstellte. Der Schlüssel wurde heftig gedreht, die Tür aufgestoßen, und die Frau stürzte förmlich an Nasreddin vorbei, auf die Vorhangecke zu. In der Hand hielt sie eine dicke grüne Flasche, bereit, sich damit auf jeden Gegner zu stürzen. Und einen Augenblick fühlte sich Nasreddin glücklich, daß es keinen gab, den das unverhofft treffen würde.
Mit einem raschen Schritt befand er sich hinter der Berserkerin, die gerade in dieser Sekunde den Vorhang zur Seite riß, aber gleichzeitig zauderte, weil sie gewahrte, daß der Fußboden dort völlig trocken war.
»Dir werd ich…« Den Rest ihrer begonnenen Rede verschluckte sie gurgelnd.
Nasreddin hatte ihr den großen Becher mit dem Rest des Wassers über den Kopf gestülpt, befand sich mit einem Satz vor der Tür, warf diese zu und drehte den Schlüssel um. Ein weiterer Satz brachte ihn auf den Gang. Dort stieß er mit der geschäftigen Frau zusammen, die die Papiere, die sie unter dem Arm hielt, fallen ließ, einen kleinen Schrei ausstieß, dann aber intensiv und glücklicherweise leise schimpfte und sich anschickte, alles aufzuklauben.
Aber das alles nahm Nasreddin nicht sehr bewußt wahr. Er befand sich bereits im unteren Gang, schwang die Türen auf,
daß sie gegen die Wand stießen, schnell zurückpendelten und ihn beinahe umgeworfen hätten. Er erreichte den Vorplatz, löste behend den Knoten des Eselsstricks, schwang sich auf das erschrockene Tier, gab ihm die Fersen und rief flehend: »Mach, mach, Grauer, hast zwei Tage gefaulenzt und gefressen. Lauf, sonst ergeht es uns schlecht…«
Schwer kam der Esel in Gang, aber er gehorchte, und bald trabte er am freistehenden Tor vorbei. Dort war der Alte von vorhin, der hob seinen Stock, schrie etwas, was Nasreddin nicht verstand; aber er winkte dem Mann freundlich zu und rief: »Alles erledigt, keine Zeit, ein wichtiger Auftrag…« Und er gab dem Tier erneut die Fersen zu spüren, lenkte es auf dem Weg der Straße zu.
Als er den Kischlak hinter sich hatte, zügelte Nasreddin den Esel, sah sich um. Lediglich die hohen Masten mit den eigenartigen Leitern darauf konnte er noch sehen – und keinen Menschen. Ein Huhn lief weiter hinten suchend über die Straße. Da drängte Nasreddin den Esel links ins Maisfeld, bedacht, in der Zeile zu bleiben, die Pflanzen nicht zu brechen. In einiger Entfernung zwang er das Tier, sich zu legen, er selbst lief geduckt zurück, bis er, durch die breiten Blätter gedeckt, wieder den Weg einsehen konnte.
Es dauerte gar nicht lange, bis er von der Hauptstraße her eine Staubfahne auf sich zukommen sah, dann die Maschine, die sie verursachte. Und in der Tat, Miliz! Zwei von der Miliz saßen vorn, der eine lenkte die offene Maschine. Und hinten, hinten saß, kein Zweifel, dieser Vorsitzende!
Nasreddin lachte lautlos, als sie vorüber waren, dann zog er den Esel weit in das Maisfeld hinein, schlug einen Bogen nach links, von dem er meinte, daß er ihn um den Kischlak herumführen würde.
Es wurde ein ermüdender Marsch. Die Pflanzen standen enger, als die Körper breit waren. Die Blätter schnitten, und die kräftigen Stengel hielten die Luft so fest, daß sie sich nicht im geringsten bewegen konnte, träge und heiß dastand und Feuchtigkeit aus den Körpern von Mensch und Tier saugte.
Dann endlich hörte der Mais auf. Vorsichtig Umschau haltend, trat Nasreddin hinaus. Vor sich hatte er eine kleine Anhöhe, auf der ein prächtiger, einsamer Baum stand, eine Insel, eine Bastion mitten in einem Maismeer.
Nasreddin erklomm den knorrigen Baum. In der Tat, ein imposantes grünes Wogen unter ihm. Kein Ende konnte er sehen.
Aber was ihn interessierte: Der Kischlak lag weit hinter ihm. Ein Zweifel war nicht möglich, der obere Bogen des prächtigen Tores überragte alles.
Ein Einschnitt im Mais, links vorn, ließ Nasreddin vermuten, daß dort ein Weg sei. Dieser führte wohl in hügliges Gelände, das auch weißliche Flächen erkennen ließ. Nasreddin seufzte: Baumwolle. Aber was soll’s: Der Alte hat mich zur Hauptstraße fortreiten sehen. Wenn sie mich suchen, dann dort. Also gehe ich in die entgegengesetzte Richtung.
Er nahm den Esel, zog wiederum durch den Mais, dem Einschnitt zu, den er für einen Weg hielt.
Im Kolchos
Nach einer abermals im Busch zugebrachten Nacht, die, weil schwül, die Mücken ewig nicht zur Ruhe kommen ließ, begann Nasreddin immer weniger Gefallen an seiner derzeitigen
Weitere Kostenlose Bücher