Der Geist des Nasredin Effendi
Igor Josephowitsch, wieder in seiner Lieblingshaltung auf dem Bett lümmelnd: »Nasreddin, hast du gehört, sie haben es nicht geschafft, die Heuschrecken kommen!«
Als Nasreddin nicht sofort antwortete, fuhr er fort: »Sie werden alles kahlfressen. Die Alten sagen, daß das gesamte Vieh, alle Ernte, na eben, weil sie alles kahlfressen, futsch sind. Schade drum.«
Nasreddin wurde aufmerksam. Irgend etwas an Igors Ton machte ihn stutzig. Worauf wollte der andere hinaus? Natürlich, Heuschrecken sind eine schlimme Sache, aber daß gerade der Kolchosnasreddin darüber besorgt sein sollte…?
Der sprach weiter: »Die Ernte werden wir dann ja rein haben, aber der Futtermais steht noch auf dem Halm, wir haben keine Vorräte. Die Schafe…« Er verdrehte die Augen und ließ den Kopf ruckartig sinken, »alle hin.«
»Hm«, sagte Nasreddin. »Das ist schlimm.«
»Schlimm!« wiederholte Igor. Dann fuhr er fort, ein wenig lauernd, wie es Nasreddin. schien: »Es wäre doch am besten, wenn wir sie jetzt, da sie schön fett sind, schlachten und uns einen schönen Tag machen, bevor sie vom Fleisch fallen und verhungern.«
»Das wäre am besten.«
»Denn bedenke, auch uns wird es im Winter nicht besonders ergehen. Sie müssen uns aus den anderen Republiken unterstützen. Sie werden natürlich erst einmal für sich sorgen…«
»Werden sie.«
»Also, du meinst auch, es wäre am besten, wir schlachten unsere Schafe, essen sie auf. Was wir haben, haben wir!«
»Haben wir!« Nasreddin tat so, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, als ginge er auf Igors Vorstellungen vorbehaltlos ein. In Wirklichkeit jedoch war er hellwach, hörte auf jede Nuance dessen, was jener sagte. Auf irgend etwas wollte der hinaus!
»Morgen ist Sonntag. Ich habe mich mit ein paar Freunden am Fluß verabredet, bei der großen Biege, wir haben vor ein paar Tagen in der Nähe das große Feld abgeerntet, als der Regen kam…«
Nasreddin nickte, er erinnerte sich.
»Dort wollen wir ein Picknick machen, ein wenig schwimmen, einen Kleinen trinken, und dort könnten wir natürlich beginnen mit den Schafen…«
»Was wird der Vorsitzende sagen?«
»Na, im Vertrag steht, daß das Schaf unser persönliches Eigentum ist. Außerdem wird er bald im großen anfangen müssen, den Bestand zu reduzieren, wenn er davon etwas retten will. Die Heuschrecken…«
»Ach ja, die Heuschrecken…«
»Bringst du es mit?«
»Was?«
»Sieh mal, du bist der Neue. Und da wäre es nicht schlecht, wenn du den Freunden zeigtest, daß du dich bei ihnen wohl fühlst, daß du sie einlädst, hm?«
»Das wäre nicht schlecht!«
»Tust du’s?«
»Wenn’s üblich ist!«
»Das heißt, ja! Und mit dem Schaf!«
»Wenn die Heuschrecken kommen, was wollen wir machen.«
»Ich wußte, daß du ein kluger Mensch bist. Habe denen nie geglaubt, die meinen, du hättest nicht alle beisammen!«
»Ja, siehst du«, antwortete Nasreddin vielsagend und verzog den Mund.
Mit großem Eifer erläuterte Igor Josephowitsch Einzelheiten des Treffens und wie das Picknick ablaufen sollte. Nasreddin seinerseits bestand darauf, bereits vor allen anderen da zu sein, um alles bestens vorbereiten zu können. So ein Schaf brauche seine Zeit, bis es über der Glut ordentlich gar und knusprig sei. Er habe da seine Erfahrungen.
Nasreddin entging nicht, daß der andere innerlich frohlockte, daß es Augenblicke gab, in denen er förmlich vor Freude zu platzen drohte. Er hieb Nasreddin auf die Schulter und betonte in einem fort, was für ein feiner Kumpel dieser doch wäre, und Nasreddin werde sehen, auch die anderen würden es ihm vergelten.
Der Sonntag sah Nasreddin schon zeitig auf den Beinen. Er ging die einzelnen Weidepferche ab, die Schafe grasten, und sie blökten verwundert ob des frühen Störenfrieds. Manche sprangen mit einem Satz zur Seite, wenn sich Nasreddin ihnen näherte.
Trotz der guten Kennzeichnung der Tiere benötigte Nasreddin über eine Stunde, um das richtige herauszufinden. Es befand sich im westlichsten Pferch an der Grenze des Kolchos gebietes, dort, wo das Weideland zu Ende war und die Baumwollfelder begannen.
Nasreddin legte dem Tier einen Strick um und brachte es auf den Weg. Nach einem Fußmarsch von einer guten Stunde, den das Schaf gehorsam mittrabte, erreichte er die bezeichnete Stelle am Fluß. Die Sonne stand bereits hoch, und ihm war es heiß geworden, aber er gönnte sich keine Ruhe. Sehr schnell fand er im Ufergebüsch die
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