Der Geist des Nasredin Effendi
Zimmerkollegen gewandt: »Sagte ich dir’s nicht: Die Seinen läßt Allah nicht im Stich!« Und erleichtert folgte er dem Mädchen, die das offensichtlich von ihm erwartete, um das Tier sofort zu versorgen. Es hatte in der Tat schlecht ausgesehen mit einem Quartier für den Esel. Der Vorsitzende hatte sich strikt geweigert, ihn in die Kolchosräumlichkeiten aufzunehmen, weil Nasreddin keinerlei Gesundheitszeugnisse für den Grauen vorweisen konnte.
Gusal
Man hatte Nasreddin angetragen, Mitglied des Kolchos zu werden, und ihm nach diesem Gespräch ein schönes Schaf überreicht, ganz so, wie sein Zimmergenosse es ihm angekündigt hatte. Glücklicherweise erwartete man seine Entscheidung nicht sofort, sondern gewährte Bedenkzeit. Das Baumwollpflücken hatte Nasreddin gründlich satt, er fühlte sich dazu nicht geboren. In den Wochen, die er nun in seiner neuen Umgebung weilte, hatte er keine überragenden Fettigkeiten ausbilden können. Nach wie vor schmerzten ihm an den Abenden Hände und Rücken, und auf dem Feld bildete er in seiner Reihe stets das Schlußlicht in der Gruppe, was den Unwillen des Feldbaubrigadiers und über diesen den des Vorsit zenden hervorrief, denn er blieb überwiegend unter seiner Norm. Das drückte sich zwar in erster Linie in seinem Verdienst aus, aber es ging auch darum, daß solche Arbeitskräfte natürlich das Gesamtaufkommen bremsten.
Der Vorsitzende, in Nasreddins Augen ein Finsterling, blieb ihm daher fremd. Er schien zu jener Kategorie Mensch zu gehören, die alles um sie herum auf sich bezogen, persönlich nahmen. Wenn also jemand unter der Norm blieb, lag es nicht in erster Linie an dessen Unvermögen, mehr zu leisten, sondern daran, daß man ihn, den Vorsitzenden, gegenüber dem Rayonskomitee in ein schiefes Licht bringen wollte. Als eine Melkerin an einem Sonntag nicht einspringen wollte, weil sie Familiäres vorhatte, stellte er es hin, als verweigere sie ihm einen persönlichen Gefallen. Eigentlich sprach niemand freundlich von ihm, alle murrten sie ob seiner ständigen Forderung nach noch mehr Leistung, seiner kleinlichen Kontrollen der Arbeitsdisziplin und seines im ganzen unfreundlichen Verhaltens. Was ihm Autorität verschaffte und auch Hochachtung, war das ungeheure Arbeitspensum, das er selbst bewältigte, und seine Fähigkeit, schier Unmögliches doch irgendwie möglich zu machen. Das lag vielleicht auch daran, daß der Kolchos »Neue Ernte« durch die neue Baumwollsorte ein wenig Paradepferd des Rayons geworden war, man ihn daher vielleicht bevorzugt unterstützte. Aber nun in diesem Jahr klappte es nicht mit der Planerfüllung. Und die Leute sagten, daß er deshalb in seiner Unausstehlichkeit noch einen Zahn zugelegt hätte. Also, diese Umstände hätten Nasreddin längst bewogen, ob mit oder ohne Einwilligung, das Weite zu suchen, trotz des auf ihn noch immer unheimlich und bedrohlich Wirkenden, der Miliz. Nein, es war etwas eingetreten, das Nasreddin in derartigen Entschlüssen zögern ließ, was Bedenken schaffte.
Es gab am Rande des kleinen, zum Kolchos gehörenden Kischlaks ein Haus, ein etwas verwahrlostes, in dem die Mutter mit ihrer hundertzöpfigen Tochter und nun auch Nasreddins Esel lebten. Hinter vorgehaltener Hand hatte man Nasreddin gesteckt, daß es zu dem munteren Mädchen Sewara keinen Vater gäbe und deshalb Gusal, die Frau, nun ja, das Gesetz stünde zwar auf ihrer Seite, ein wenig eine Verworfene sei. Sie mußte auf strengen Prikas des Rayonskomitees im Kischlak angesiedelt werden, was nun schon lange her war, die Tochter war damals zwei Jahre alt.
Als Nasreddin das alles erfuhr, kannte er Gusal bereits, weil er des öfteren zur Pflege des Tieres in dem Haus weilte. Und er hatte sich eine Meinung über sie gebildet, bevor man ihm dieses »Erschreckliche« zutrug. Nun wußte er natürlich, daß es eine unverzeihliche Sünde war, was jene begangen hatte, wunderte sich, daß sie überhaupt mitsamt dem Kind noch nicht untergegangen war, denn früher… Man hätte sie gesteinigt…
Aber eine Verworfene, nein! Nasreddin revidierte seine Meinung über Gusal nicht, als er jenes erfuhr. So täusche ich mich nicht, sagte er sich. Auf seine Menschenkenntnis hatte er sich eigentlich immer etwas eingebildet.
In diesen Tagen sprach man von einer Heuschreckenplage, die den Iran heimgesucht hatte und gegen die, so die »Prawda Wostok«, an der Grenze vorsorglich Maßnahmen eingeleitet wurden.
Am Abend des zweiten Tages nach dieser Meldung sagte
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