Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
tatsächlich die Dreistigkeit,
hierher zu kommen? Wo ist der Gefangene? Was habt Ihr mit ihm
gemacht?«
»Genau das, was ich ihm versprochen hatte«, antwortete Abu Dun.
»Ich habe ihm die Freiheit geschenkt.«
»Bist du völlig von Sinnen?«, keuchte La Valette. »Du wagst es,
mir das ins Gesicht zu sagen? Ergreift ihn!«
Die beiden letzten Worte galten seinen Begleitern, die nun all ihren
Mut zusammennahmen und mit grimmigen Gesichtern und gezückten Waffen auf den Nubier zutraten, wobei sie sich in der Enge des
schmalen Ganges allerdings eher gegenseitig behinderten.
»Ich habe ihm nicht nur die Freiheit geschenkt«, fuhr Abu Dun unbeeindruckt fort, während er ebenso unbeeindruckt näher kam. Er
machte sich nicht einmal die Mühe, seine Waffe zu ziehen. »Ich habe
ihn zu seinem Meister geschickt, damit er ihm etwas von mir ausrichtet. Und ich habe Sorge dafür getragen, dass er es auch tut.«
Starkey hob rasch die Hand und brachte die Männer damit zum
Stehen. »Warum?«, fragte er.
Der Nubier schlug die beiden ersten Soldaten, die ihm im Weg
standen, mit einer beiläufigen Bewegung zur Seite. Die anderen waren klug genug, es gar nicht erst darauf ankommen zu lassen. Andrej
registrierte aus den Augenwinkeln, dass zwei der Männer versuchten,
sich unauffällig hinter Abu Dun zu schieben.
»Er wird dem Dämon ausrichten, dass ich heute um Mitternacht auf
ihn warte«, fuhr Abu Dun fort. Mit einem Mal klang seine Stimme
sehr ernst. Das spöttische Glitzern war aus seinen Augen verschwunden und hatte einer Härte Platz gemacht, die wohl nicht nur Andrej
spürte. Selbst La Valette wich einen Schritt vor dem Nubier zurück.
»Es ist genug. Ich werde mich diesem Ungeheuer stellen. Ich allein.«
»Und was macht dich so sicher, dass er kommt?«, fragte Andrej.
»Er wird kommen«, antwortete Abu Dun überzeugt. »Ich habe begriffen, wie er denkt. An mir hat er keine große Freude mehr. Er hat
mir bereits alles genommen, was er mir nehmen konnte. Er kann mir
keinen Schmerz mehr zufügen. Was also hätte er davon, mich weiter
zu quälen?«
»Was hättest du davon, dich von ihm töten zu lassen?«, fragte Andrej zurück.
»Wir werden sehen«, antwortete Abu Dun. »Schon viele haben versucht, mich umzubringen. Und bisher ist es keinem gelungen. Ich
erwarte ihn heute Nacht zur zwölften Stunde auf dem höchsten Turm
des Forts St. Angelo. Er wird kommen, und sei es nur, um uns allen
zu beweisen, dass er dazu fähig ist.«
»Und was bringt Euch auf die Idee, dass ich das zuließe?«, fragte
La Valette. »Ihr werdet Euch mit niemandem mehr messen, Heide.
Ihr könnt doch nicht ernsthaft glauben, dass ich einem gedungenen
Mörder die Tore unserer stärksten Festung öffnen würde! Das ist
lächerlich!«
»Lächerlich«, antwortete Abu Dun betont, »ist Euer Glaube, dieser
Kreatur entkommen zu können, Ritter. Irgendwann wird er des Spieles überdrüssig werden, und dann wird er kommen und Euch holen.
All Eure Soldaten und Kanonen werden Euch nicht vor ihm beschützen können. Aber wer weiß - vielleicht hat er ja auch Geschmack an
dem gefunden, was er mit Romegas angestellt hat. Wie würde es
Euch gefallen, zehn Männer wie ihn in der Stadt zu wissen oder hundert?« Er schüttelte ärgerlich den Kopf. »Wie würde es Euch gefallen, nicht mehr wissen zu können, wem Ihr noch vertrauen könnt und
wem nicht? Wer noch der Mann ist, der er am Tag zuvor war?«
Für einen Moment wirkte La Valette so verunsichert, dass er Andrej fast Leid tat. Zum ersten Mal sah er den Johanniter so, wie er
wirklich war: ein alter, kranker Mann, der am Ende seines Lebens
mit ansehen musste, wie alles, was ihm jemals etwas bedeutet hatte,
alles, was er aufgebaut und verteidigt hatte, vor seinen Augen zerbrach. Ein Mann, der panische Angst vor dem Tod hatte. Das war
etwas, was Andrej in letzter Zeit immer häufiger außer Acht ließ.
Abu Dun und er hatten so lange gelebt, waren dem Tod so oft und in
den verschiedensten Formen begegnet, dass er zu vergessen begann,
welch gewaltige Angst gewöhnliche sterbliche Menschen vor ihm
hatten. Und seltsamerweise schien diese Angst gerade bei jenen am
stärksten ausgeprägt zu sein, die Zeit ihres Lebens nicht müde geworden waren, vom Leben nach dem Tod und der ewigen Glückseligkeit zu predigen.
»Das lasse ich nicht zu«, beharrte La Valette.
»Dann versucht, mich daran zu hindern«, entgegnete Abu Dun ruhig. Er schlug seinen Mantel zurück und legte die rechte Hand auf
den Knauf seiner

Weitere Kostenlose Bücher