Der Gejagte
knappes Dutzend
Soldaten, bei denen es sich ausnahmslos um Männer aus derselben
Truppe handelte, die sie schon zu Julias Haus begleitet hatten. Zumindest, dachte Andrej, hatte der Johanniter genug Weitsicht bewiesen, nicht noch mehr Männer in ihr Geheimnis einzuweihen, das
durchaus auch für ihn zu einer tödlichen Gefahr werden konnte,
wenn es sich herumsprach.
»Was geht hier vor?«, fuhr La Valette den Engländer und ihn
zugleich an. »Wo ist der Heide?« Er trat zur Seite, sodass er an Andrej vorbei in die Zelle hineinsehen konnte, und seine Augen weiteten
sich. »Wo ist Chevalier de Romegas? Was hat das alles zu bedeuten?«
Starkey erklärte ihm mit wenigen, merklich um Sachlichkeit bemühten Worten, was Andrej und er erlebt hatten.
La Valette japste hörbar nach Luft. »Also doch!«, keuchte er. »Ich
hätte diesem Wilden niemals vertrauen dürfen! Und Euch auch nicht,
Sir Oliver. Ihr habt mich dazu gebracht, einem Mörder und Verräter
mein Vertrauen zu schenken!«
»Bisher hat er noch kein Verbrechen begangen«, mischte sich Andrej ein, was vielleicht nicht besonders klug war. La Valettes Zorn
hatte sich bisher vor allem gegen Starkey gerichtet; nun aber drehte
er mit einem Ruck den Kopf und starrte Andrej empört an.
»Er hat diesen Diener der Hölle befreit, reicht Euch das noch
nicht?«, zischte er. »Ich frage mich, was er wohl als Nächstes tun
wird. Vielleicht ist er ja schon auf dem Weg zu dem Attentäter, um
mit ihm darüber zu beraten, wie sie uns am besten erwischen können.«
»Verzeiht, Großmeister«, erwiderte Andrej, wobei es ihm nicht
vollständig gelang, den spöttischen Unterton aus seiner Stimme zu
verbannen, »doch wenn es nur Euer Tod wäre, den der Dämon im
Sinn hat, dann würden wir dieses Gespräch jetzt gewiss nicht mehr
führen. Habt Ihr vergessen, was alles passiert ist? Dieses Ungeheuer
hat es nicht nötig, einen Hinterhalt zu legen. Wenn es jemanden töten
will, ganz gleich ob mich, Abu Dun oder auch Euch, dann spaziert es
in aller Seelenruhe zu ihm hin, tötet ihn und geht wieder, und niemand kann es aufhalten.«
Der Zorn in La Valettes Augen nahm weiter zu, doch Andrej vermochte nicht zu sagen, ob das an seinem unverschämten Ton lag
oder daran, dass der Johanniter im Grunde genau wusste, dass Andrej
nur die Wahrheit sagte.
»Das ändert nichts daran, dass ich meinen Fehler endlich wieder
gutmachen und deinen heidnischen Freund auf der Stelle verhaften
lassen werde«, sagte er aufgebracht. »Sir Oliver, Ihr werdet dafür
Sorge tragen, dass die ganze Stadt nach Chevalier de Romegas und
diesem muselmanischen Spion durchsucht - wird! Schickt Eure besten Männer! Ich will sie haben, noch bevor die Sonne untergeht!«
Starkey sah nicht begeistert aus, doch nach einem Moment des Zögerns nickte er schließlich und wollte sich mit einem entsprechenden
Befehl an einen der Soldaten wenden, die in La Valettes Begleitung
gekommen waren. Da hob Andrej die Hand und deutete zum anderen
Ende des Ganges hin.
»Ich glaube, die Mühe könnt Ihr Euch sparen«, sagte er.
La Valette fuhr ungehalten herum. Er war nicht der Einzige, der
verblüfft die Augen aufriss und einen ungläubigen Laut ausstieß.
Auch Andrej hatte Mühe zu glauben, was er sah.
Am Fuße der schmalen Treppe, die hinauf ins Ordenshaus führte,
stand eine ganz in Schwarz gekleidete Gestalt. Das flackernde Licht
machte es Andrej schwer, sie zu erkennen. Seine überreizten Nerven
suggerierten ihm, es sei niemand anderer als der Dämon, der gekommen war, um dem grausamen Spiel ein Ende zu bereiten. Doch
dann erkannte er seinen Irrtum. Der Neuankömmling war viel größer
und ungleich breitschultriger als der Dämon und sein Gesicht war
ebenso schwarz wie seine Kleidung und der mächtige Turban auf
seinem Kopf.
»Abu Dun?«, murmelte Starkey ungläubig.
Die Soldaten zogen ihre Waffen und eilten dem Nubier entgegen,
doch alle bis auf einen blieben nach wenigen Schritten wieder stehen,
als Abu Dun sie kühl musterte. Dieser letzte brachte zwar noch den
Mut auf, sich drohend vor dem Nubier aufzubauen, der auf die kleine
Gruppe um La Valette zukam, wich aber im letzten Moment aus und
beließ es dabei, ihm - in sicherem Abstand - zu folgen.
»Sir Oliver«, sagte Abu Dun in beschwingtem Ton. »Wie schön,
dass es hier zumindest noch einen zu geben scheint, der sich an meinen Namen erinnert.«
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte La Valette, der seine Fassung
nur mühsam zurückgewann. »Ihr habt
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