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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einer winzigen
Bucht versteckt hatten, und auf das sie umsteigen würden, um so
schnell wie möglich nach Malta zurückzukehren. Er war froh, nicht
den gesamten Rückweg in der Gesellschaft dieser Männer bewältigen zu müssen. Sie waren ihm zuwider. Es war ein Fehler gewesen,
sich mit ihnen einzulassen.
Abu Duns Gedanken schienen sich auf ähnlichen Bahnen zu bewegen. Er nickte Andrej fast unmerklich zu und stieß wie zufällig mit
dem Fuß gegen ein Stück scheinbar achtlos liegen gelassenen Segeltuchs, sodass Andrej erkennen konnte, was sich darunter verbarg:
eine klobige Hakenbüchse. Eine Waffe der gleichen Art, mit der der
Janitschar am Tag zuvor auf ihn geschossen hatte. Andrej runzelte
die Stirn. Nicht nur er verabscheute Feuerwaffen zutiefst, er bezweifelte, dass Abu Dun diese Waffe berühren würde.
Einer der Schmuggler wandte sich mit herrischen Worten an Abu
Dun. Andrej verstand den Dialekt nicht, den er sprach, aber die Antwort des Nubiers war scharf und bestimmt, woraufhin der Mann in
noch schärferem Ton antwortete. Die beiden anderen stellten ihre
Arbeit ein und sahen Abu Dun und seinen Gegenspieler erwartungsvoll an. Spannung lag in der Luft. Im Gegensatz zu den meisten
Menschen schienen sich die drei von der Körpergröße und dem riesigen Schwert des Nubiers nicht einschüchtern zu lassen.
»Was ist los?«, erkundigte sich Andrej.
»Sie wollen mehr Geld«, antwortete Abu Dun, ohne den Blick vom
Gesicht seines Gegenübers zu wenden. »Anscheinend ahnen sie, dass
etwas nicht stimmt. Sie wollen das Doppelte der vereinbarten Summe.«
»Versprich es ihnen.«
»Niemals«, sagte Abu Dun grimmig. »Sie sind gierig. Wenn ich
jetzt nachgebe, wollen sie noch mehr und…«
»Versprich es ihnen«, beharrte Andrej. »Ich will hier so schnell wie
möglich weg.«
Er warf einen nervösen Blick zu der Galeasse hinüber. Das mächtige Kriegsschiff löste sich träge, wie ein aus tiefem Schlaf erwachender Wal, von der Kaimauer. Die zahllosen Ruder tauchten mit einem
weithin schallenden Geräusch ins Wasser. Der Bug des Schiffes mit
dem bedrohlichen Rammsporn schien direkt auf das kleine Fischerboot zu deuten, was Andrej wie ein böses Omen vorkam. Rasch überschlug er die Zeit, die der Koloss brauchen würde, um die Hafenausfahrt zu erreichen. Er kam zu einem beruhigenden Ergebnis: Die
Galeasse würde ihren Kurs nicht kreuzen. Andrej wusste zwar, wie
schnell diese scheinbar schwerfälligen Schiffe sein konnten, wenn sie
erst einmal in Fahrt gekommen waren, aber sie brauchten Zeit, um
ihre Maximalgeschwindigkeit zu erreichen.
»Wie du meinst«, grollte Abu Dun. »Aber es ist ein Fehler.« Er
fügte einige übellaunig klingende Worte in der Sprache der
Schmuggler hinzu, woraufhin sich der Mann mit einem zufriedenen
Grunzen umwandte und auch seine beiden Kameraden ihre Tätigkeit
wieder aufnahmen. Andrej richtete sich in eine etwas bequemere
Position auf. Sein Leib und seine Beine begannen nun zu kribbeln,
als ob die Blutzirkulation ganz allmählich wieder in Gang kommen
würde.
Unerträglich langsam steuerten sie auf die Ausfahrt zu. Andrejs
Blick wanderte wiederholt zu der Galeasse, die durch ihre schiere
Größe schon beunruhigend wirkte. Aber er musterte auch immer
wieder den zurückliegenden Hafen - und fuhr wie unter einem Hieb
zusammen.
Jemand näherte sich ihnen!
Nicht irgendjemand. Ein Wesen wie er. Ein Unsterblicher.
Andrej richtete sich kerzengerade auf, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass einem Schwerverletzten eine solche Bewegung kaum möglich gewesen wäre. Sein Herz begann zu
hämmern. Sein Blick irrte suchend über das Gewirr aus Häusern,
Lagerschuppen und bunten Zeltplanen, das die Kaimauer säumte. Er
konnte die Nähe anderer Unsterblicher spüren, so wie sie ihrerseits
die seine. Aber selten hatte er die Präsenz eines anderen Wanderers
durch die Zeiten so deutlich gefühlt. Wer immer dieser Unsterbliche
war (er brachte es nicht fertig, das Wort Vampyr zu verwenden, mit
dem die meisten anderen Menschen Wesen wie Abu Dun und ihn
bezeichneten), musste unglaublich alt und mächtig sein. Andrejs
Hände und Knie begannen zu zittern.
Eine Bewegung zu seiner Rechten erregte seine Aufmerksamkeit.
Andrej sah genauer hin und erblickte eine prächtige Sänfte, die, begleitet von einem guten Dutzend Janitscharen und mehreren prachtvoll gekleideten Offizieren, durch das Hafentor getragen wurde. Sie
kam schnell voran. Ungewöhnlich schnell. Die vier

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