Der Gejagte
drei Jahren in den Rang eines Galeerenkapitäns aufgestiegen - eine Position, die ihm Zugang zu allen Archiven des Ordens
gewährte.
Seinem eigentlichen Ziel jedoch war Andrej in all diesen Jahren
nicht näher gekommen. Er hatte gehofft, eines Tages auf einen Menschen zu treffen, der sein Geheimnis nicht nur kannte und teilte, sondern der vor allem wusste, warum sich Gott oder das Schicksal mit
einer Hand voll Menschen einen so bösen Scherz erlaubt hatten, aber
er hatte niemals den Mut aufgebracht, den Großmeister offen darauf
anzusprechen. Was auch immer La Valette bezüglich Andrejs Geheimnis ahnte oder vermutete - sie hatten eine Art stillschweigendes
Abkommen getroffen, an das sich beide hielten, obwohl Andrej dies
oft bedauerte.
»Chevalier de Delãny - Euer Bericht!«
Die Stimme La Valettes, die schon leicht ungeduldig klang,
schreckte Andrej aus seinen Grübeleien hoch. Er streifte seinen
schweren ledernen Handschuh ab und zog die mit eingetrocknetem
Blut verschmierte Pergamentrolle aus dem weiten Ärmel seines
Hemdes. Er musste sich beherrschen, um sie nicht schwungvoll auf
die Tischplatte vor La Valette zu werfen, sondern sie stattdessen mit
einer ehrerbietigen Geste abzulegen und sich dann rasch - rückwärts
gehend und mit leicht gesenktem Kopf - zwei Schritte zu entfernen.
Als er das Haupt wieder hob, begegnete er Starkeys Blick. Zumindest der Engländer schien wohl zu spüren, wie es wirklich in Andrej
aussah, denn er hatte alle Mühe, ein breites Grinsen zu unterdrücken.
»Was bringt Ihr?«
»Eine Aufstellung der türkischen Flotte«, antwortete Andrej, »sowie ihrer Besatzung und der Waffen, die sie geladen haben. Ganz,
wie Ihr es befohlen habt.«
»Ihr habt sie gesehen?«
»Diese Liste stammt aus dem Zeughaus des Palastes in Konstantinopel.«
La Valette blickte kurz und leicht überrascht auf, während sein Sekretär das Pergament auseinander rollte. »Aus dem Zeughaus des Palastes?« Er klang fast ein wenig ungläubig. Dann lächelte er. »Das
wird Euren Widersachern in den Reihen des Ordens bitter aufstoßen,
wenn es sich herumspricht.«
Wofür du zweifellos sorgen wirst, dachte Andrej. Laut sagte er:
»Wohl kaum so bitter wie dem Sultan selbst.«
Der Großmeister und sein Sekretär grinsten verschwörerisch. Für
einen Herzschlag lang sahen sie eher wie große Jungen aus, die sich
über einen gelungenen Streich freuten, als wie die würdigen alten
Männer, die den Ritterorden in seine vielleicht bedeutendste Schlacht
führen sollten. Doch als La Valette die Liste studierte, begann sein
Lächeln zunehmend zu gefrieren. Er hatte sich zu gut in der Gewalt,
um sich seinen Schrecken deutlicher anmerken zu lassen, aber Andrej glaubte zu spüren, wie die Zuversicht des alten Mannes zerbröckelte.
»Ihr… Ihr seid sicher, dass diese Liste korrekt ist?«, vergewisserte
sich La Valette. Es war eine rhetorische Frage. Er wusste, dass die
Zahlen auf dem eng beschriebenen Blatt vor ihm echt waren.
»Sie haben vierzigtausend Soldaten aufgeboten«, murmelte er
schließlich.
Starkey trat ein wenig dichter an ihn heran und stellte sich auf die
Zehenspitzen, um über seine Schulter hinweg ebenfalls einen Blick
auf das Blatt werfen zu können. Seine Augen weiteten sich unmerklich. Er warf Andrej einen flehentlichen Blick zu, den dieser aber nur
mit einem angedeuteten, stummen Kopfnicken beantworten konnte.
»Allein mehr als sechstausend Janitscharen… Gott stehe uns bei.
Stimmen diese Zahlen wirklich?« La Valettes Stimme wurde eine
Spur schriller und er begann immer schneller vorzulesen. »Achtzigtausend Kanonenkugeln? Fünfundzwanzigtausend Zentner Pulver für
die Arkebusen und noch einmal fünfzehntausend Zentner Pulver für
die Kanonen?« Er hob mit einem Ruck den Kopf. »Das kann nicht
stimmen!«
»Und dazu kommen…«, begann Starkey. Der Großmeister ließ das
Pergament mit einem Ruck sinken und warf seinem Sekretär einen
Blick zu, der jeden anderen zu Eis hätte erstarren lassen.
»Ich kann durchaus selbst lesen«, sagte er scharf.
Starkey lächelte entschuldigend und trat hastig wieder einen Schritt
zurück. La Valette blickte erneut auf das Pergament, das ihn mit solcher Besorgnis erfüllte, schüttelte den Kopf und sah dann wieder zu
Andrej hoch.
»Wie es scheint, hat der Sultan eine Menge Respekt vor uns. Delãny, Ihr seid ganz sicher, dass die Türken nicht nach Kreta oder Sizilien wollen? Ich meine… Das hier…« Er strich glättend mit der
Hand über das
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