Der Gejagte
und hätten ihr Ziel - eine der
zahlreichen felsengesäumten Buchten, die Malta in eine natürliche
Festung verwandelten, wie sie kein Baumeister perfekter hätte entwerfen können - längst erreichen müssen. Aber die schmalen Straßen, über die sie sich bewegten, waren hoffnungslos verstopft. Unzählige Menschen versuchten die Stadt und damit die Nähe der Johanniterfestung zu verlassen. Pferde und Maultiere schleppten sich
vor ihnen dahin, Männer und Frauen, die unter der Last schwerer
Bündel und Körbe wankten, in denen sie ihre wenigen Habseligkeiten verstaut hatten, klapprige Eselskarren, auf denen die Alten, Kinder und Kranken hockten. In die Gesichter der Menschen stand die
nackte Angst geschrieben. Wohl hundertmal hatte man sie angehalten und gefragt, ob die Türken schon gelandet seien. Hundertmal
öfter waren ihnen Blicke begegnet, in denen sich neben Angst auch
Vorwürfe oder kaum verhohlener Hass mischten, ein Hass, der nicht
nur Abu Dun in seinem schwarzen Mantel und seinem riesigen Turban galt.
Auf manchen Feldern sahen sie Bauern, die mit Sensen das unreife
Korn mähten; ein weiterer, in Andrejs Augen aberwitziger Befehl La
Valettes. Der Großmeister hatte beschlossen, dass für die Eroberer
nicht einmal eine Ähre zurückbleiben sollte. Was immer ihre Truppen auch benötigen mochten musste so mühsam und langwierig über
das Meer herbeigeschafft werden - eine Überlegung, die vom militärischen Standpunkt her durchaus sinnvoll war. Andrej jedoch fand,
dass dies töricht und gegen jede Vernunft war. Er glaubte nicht, dass
es noch eine Rolle spielte, ob die Türken mitgebrachtes oder auf der
Insel gebackenes Brot aßen, wenn sie erst einmal dort gelandet waren. Für die Malteser war dieser Befehl in zweierlei Hinsicht verheerend: Zum einen musste das, was sie auf Befehl des Großmeisters hin
taten, für sie wie der pure Hohn wirken. Selbst wenn sie den Angriff
der Türken überlebten, so war ihnen im kommenden Winter eine
Hungersnot gewiss. Und schlimmer noch: Zumindest einige von ihnen mussten begreifen, dass ihre Verteidiger, die ihnen über Jahrzehnte hinweg versichert hatten, für ihr Leben und die Sicherheit
ihrer Familien garantieren zu können, die Schlacht im Grunde schon
als verloren werteten.
Andrej verscheuchte den Gedanken, fuhr sich müde mit dem Handrücken über das Gesicht und versuchte den Schweiß wegzublinzeln,
der ihm immer wieder in die Augen lief. Die tief stehende Sonne, die
vom Meer wie von einem gewaltigen Spiegel reflektiert wurde,
machte es ihm noch schwerer, klar zu sehen.
Sie waren zunächst zur Bucht von Marsascirocco geritten, obwohl
es einen Umweg bedeutete, aber Andrej hatte sichergehen wollen,
dass dort nicht doch bereits ein Voraustrupp der Türken angelandet
war. Die weite Bucht lag jedoch verlassen da. Am Ufer hatten sie
lediglich Spuren des Reitertrupps gefunden, nach dem sie suchten,
doch sie waren mehrere Stunden alt gewesen. Der Marschall und
seine Männer hatten sich dort nicht aufgehalten, sie waren in schnellem Tempo weiter nach Westen geritten.
Andrej und Abu Dun folgten ihnen. Selbst für geübte Reiter wie sie
stellte der schmale Pfad, der sich in unzähligen Kehren und Windungen die Klippen hinaufschlängelte, eine Herausforderung dar. Für die
Reiter des Marschalls war es eine lebensgefährliche und vollkommen
überflüssige Schinderei gewesen, die ihnen Kräfte raubte, die sie
später noch bitter nötig haben würden.
Abu Dun hielt plötzlich sein Tier an und deutete schweigend auf
den Ozean hinaus. Andrej kniff die Augen zusammen, um gegen das
grelle Licht gewappnet zu sein, das ihn erwartete, wenn er in diese
Richtung sah. Trotzdem erkannte er zunächst lediglich ein Meer aus
gleißendem Licht, auf dem eine Hand voll dunkler, verschwommener
Punkte tanzte - die Nachhut der türkischen Flotte. Die Schiffe waren
noch eine gute Meile entfernt, dennoch konnte er jetzt, einmal auf sie
aufmerksam geworden, das gleichmäßige Schlagen der Trommeln
hören, das den Takt für die Galeerensklaven angab. Seidene Fahnen
wehten von den Masten, und hin und wieder blitzte Metall im Sonnenlicht auf.
Es war nur die Nachhut und dennoch reihte sich bis zum Horizont
Schiff an Schiff. Schlanke Galeeren sicherten Rücken und Flanken,
dazwischen trieben mächtige Karacken, die mit Hunderten von Soldaten beladen sein mussten und nur langsam gegen die Dünung ankamen. Sie waren umgeben von unzähligen kleineren Transportbooten, auf
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