Der Gejagte
deren Decks sich Fässer, Zeltbündel und Kisten stapelten.
Auf einigen der Schiffe konnte Andrej, nachdem sich seine Augen an
das grelle Licht gewöhnt hatten, auch Rinder, Schafe und andere
Nutztiere erkennen - Proviant für eine lange Belagerung. So viel zu
La Valettes Idee, den Belagerern den Nachschub an Lebensmitteln
zu verwehren, dachte er bitter.
»Vielleicht sollten wir eine Rast einlegen«, schlug Abu Dun vor.
»Die Pferde sind vollkommen erschöpft und der Weg, der vor uns
liegt, wird noch anstrengender.«
Andrej musterte ihn überrascht. Normalerweise war er es, der den
Nubier daran hindern musste, nicht nur seine eigenen, sondern vor
allem die Kräfte ihrer Tiere zu überschätzen. Er schüttelte den Kopf.
»Wir reiten noch bis Zurrieg«, sagte er. »Vielleicht finden wir ja dort
endlich Cocier und seine Männer - oder wenigstens jemanden, der
uns sagen kann, wohin sie geritten sind.« Er zögerte kurz. »Von dort
aus ist es nicht mehr weit bis zu dem Haus in den Bergen, in das du
Julia gebracht hast, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Abu Dun. »Aber falls du vorschlagen willst, dass
ich bei ihr zurückbleibe, dann spar dir den Atem.«
Genau das hatte Andrej vorgehabt und er dachte auch nicht, sich so
leicht davon abbringen zu lassen. »Es wäre das Klügste«, antwortete
er und hob rasch die Hand, als er sah, dass Abu Dun auffahren wollte. »Wenn schon nicht um deinetwillen, dann denk an Julia. Eine
Frau, ganz allein in einem kleinen Haus in den Bergen, noch dazu in
Zeiten wie diesen…« Er schüttelte den Kopf. »Ich an deiner Stelle
würde mir Sorgen um sie machen.«
Abu Dun lachte bitter auf. »Ich an meiner Stelle«, antwortete er,
»würde mir Sorgen um mich machen, wenn ich ohne Pedro zurückkomme und ihr noch dazu erzähle, dass ich die Suche nach ihrem
Sohn dir überlassen habe.«
»Was überdies gelogen wäre«, fügte Andrej hinzu. Er ließ sein
Pferd vorsichtig weiterlaufen. Die beschlagenen Hufe des Tieres erzeugten sonderbare, lang nachhallende Echos auf dem mürben Kalkstein und er konnte spüren, wie vorsichtig der Hengst die Füße aufsetzte. »Es ist vollkommen sinnlos, nach Pedro zu suchen, das weißt
du so gut wie ich.«
»Ja«, grollte Abu Dun. »Weil dein Freund ihn irgendwo eingesperrt
hat und als Geisel gefangen hält.«
»Dort ist er vermutlich besser aufgehoben als irgendwo sonst auf
dieser Insel, sobald der Angriff beginnt«, versetzte Andrej. Ihm war
klar, dass sich seine Worte in Abu Duns Ohren wie blanker Hohn
anhören mussten. »Solange wir den Dämon nicht gefangen haben, ist
der Junge in La Valettes Kerkern sicherer, als er es bei uns wäre.«
»Natürlich«, entgegnete Abu Dun spöttisch. »Und solange wir…«
Abu Dun verstummte abrupt. Sein Pferd wieherte erschrocken und
als Andrej im Sattel herumfuhr, sah er seinen Gefährten gerade noch
mit wild rudernden Armen rücklings aus dem Sattel stürzen. Sich
überschlagend rollte er den Abhang hinunter, während das Pferd unruhig tänzelnd einen sicheren Stand auf dem schmalen Felsweg suchte. Eine Lawine winziger Steinsplitter löste sich unter seinen Hufen
und verschwand raschelnd in der Tiefe.
Mit einem einzigen Satz war Andrej aus dem Sattel. Abu Dun war
einige Meter weit den Abhang hinuntergerutscht und fluchend in
einem Geröllhaufen gelandet.
»Alles in Ordnung?«, fragte Andrej erschrocken.
»Selbstverständlich«, fuhr ihn der Nubier an. »Ich mache immer einen Salto rückwärts, wenn ich vom Pferd steigen will, das weißt du
doch.«
»Zumindest hast du dir nicht die Zunge verrenkt«, erwiderte Andrej, kletterte aber trotzdem schnell, wenn auch mit der gebotenen
Vorsicht, hinter Abu Dun her. Auch unter seinen Schritten lösten
sich immer wieder kleinere und größere Felstrümmer, von denen
etliche zielsicher in Abu Duns Richtung hüpften. Der weiche, von
der Brandung und unzähligen Jahren geduldig schmirgelnden Windes zermürbte Stein bot seinen Füßen kaum Halt. Mehr rutschend als
laufend landete er schließlich neben Abu Dun, der es sich inzwischen
auf dem Geröllhaufen regelrecht gemütlich gemacht hatte. Er hatte
lediglich ein paar Kratzer abbekommen, die aber beinahe schon wieder verheilt waren. Als sich Andrej schwer atmend neben ihm auf die
Knie sinken ließ, reichte er ihm mit einem breiten Grinsen seine
Wasserflasche.
»Na ja, dann machen wir also doch noch Rast«, sagte er. »Trinken
wir einen Schluck.«
Andrej schnupperte misstrauisch an der Wasserflasche. »Was
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