Der gekreuzigte Teufel
Schmerz blieb.
Nun bereute sie ihren Entschluß, zur Nachmittagssitzung in die Höhle zurückgekehrt zu sein. Die Reden, die Kleidung, die Lobeshymnen, die man auf sich selbst sang, erinnerten sie nur allzusehr an ihr vergangenes Leben und an all das Leid, das sie erduldet hatte seit der Zeit, als sie von dem Reichen Alten Mann aus Ngorika schwanger geworden war und ein kleines Mädchen geboren hatte.
Wambui … Zu jener Zeit waren ihre Eltern von Kaamburu weggezogen und hatten sich in Ilmorog niedergelassen, wo sie dann noch mehr Kinder bekamen. Außerdem mußten sie für Wambui sorgen. Aber die Eltern hatten Wariinga weder beschimpft noch geschlagen, weil sie unverheiratet schwanger geworden war und versucht hatte, sich vor einen fahrenden Zug zu werfen. Der versuchte Selbstmord Wariingas hatte sie im Gegenteil sehr getroffen, und unendliches Mitleid sprach aus ihren Augen, wenn sie Wariinga sahen. Wariinga würde die Worte ihrer Mutter nie vergessen: »Unsere Vorväter haben gesagt, daß nur ein Narr an den Brüstenseiner toten Mutter saugt! Wariinga, weißt du, wie viele Frauen sich nach einem Kind sehnen, ohne jemals eines zu bekommen? Ein Baby ist ein ganz besonderes Geschenk für einen Mann und eine Frau, und das gilt auch für eine unverheiratete Frau. Ein Kind zu haben ist kein Fluch, und du darfst nie wieder versuchen, dir deshalb das Leben zu nehmen!«
Um ihre Fernkurse an der Universität bezahlen zu können, fiel Wariinga nach der Geburt von Wambui noch immer ihren Eltern mit Bitten um finanzielle Unterstützung zur Last. Wariinga lernte ein Jahr lang zu Hause, sie legte ihr Schulabschlußexamen ab, als aber die Ergebnisse bekanntgegeben wurden, hatte sie nur eine Vier geschafft. Daraufhin besuchte sie einen Sekretärinnenkurs in Nairobi, nach dessen Abschluß sie auf der Suche nach Arbeit durch die Straßen der City lief, um dann schließlich die Stelle bei der Champion Construction Company zu bekommen, wo sie später entlassen wurde, weil sie sich geweigert hatte, den Annäherungsversuchen von Boss Kihara nachzugeben.
Als sie so mit dem Rücken an der Akazie auf dem Golfplatz lehnte, überdachte Wariinga in allen Einzelheiten, was ihr seit ihrer Entlassung widerfahren war … John Kimwana … der Vermieter … die Devil's Angels … ihr zielloses Umherwandern in den Straßen Nairobis … der Verlust ihrer Handtasche … die Bushaltestelle Kaka … das verrückte Verlangen danach, sich vor einen fahrenden Bus zu werfen … und der Fremde, der sie davor bewahrt hatte!
Wo war der Fremde jetzt wohl? Warum war er nicht zum Fest gekommen?
Wariinga war es, als seien diese Dinge nicht ihr, sondern vor vielen Jahren jemand anderem widerfahren. Als ihr jedoch bewußt wurde, daß seitdem noch keine zwei Tage vergangen waren, befiel sie eine große Unruhe. Nun sah sie Bilder vorüberziehen - sie sah, wie sie erst am Abend zuvor Gatuiria, Muturi, Wangari und Mwireri wa Mukiraai getroffen hatte. Ein anderes Bild zeigte ihr die Fahrt in Mwauras Matatu, während der man sich viele Geschichten erzählt hatte, und das Bild zeigte ihr auch, wie sie sich am Morgen in der Höhle wieder zusammengefunden hatten, wie Menschen, die sich ein Leben lang gekannt hatten. Als sie an ihre Unterhaltung mit Gatuiria während der Mittagspause dachte, wurde ihr das Herz ein wenig leichter - woher habe ich bloß den Mut genommen, ihm alles über mich und den ReichenAlten Mann aus Ngorika zu erzählen? Über diese Angelegenheit hatte sie noch nie mit irgend jemand außerhalb der Familie gesprochen!
Die Kamera in ihrem Kopf zeigte ihr jetzt das Bild des Nachtwächters, der sie vor den Rädern des Zuges gerettet hatte. Muturi und der Nachtwächter ein und dieselbe Person? Welcher Zufall! Wer war Muturi in Wirklichkeit? Ein in Lumpen gekleideter Engel? Könnte er derselbe sein, der sie in Nairobi vor den Rädern des Busses gerettet hatte? Derselbe, der ihr die gefälschte Karte gegeben hatte?
Aber nein!
Die Kamera zeigte ihr eine Nahaufnahme des Mannes, von dem sie die Karte bekommen hatte. Sie sah, wie er gekleidet war, und sie hörte seine Stimme und was er gesagt hatte. Wariinga sagte sich: ›Selbst wenn der Mann nicht zum Fest gekommen ist, hat er mir einen guten Dienst erwiesen, indem er mir die Karte gab, damit ich mit eigenen Augen diese unglaublichen Dinge sehen könnte; damit ich nie, nie wieder versuchen würde, mir wegen dieser schändlichen und gemeinen Klasse von Menschen, die darauf aus sind, das ganze Land zu
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