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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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unterdrücken, das Leben zu nehmen!‹
    Die Kamera zeigte ihr plötzlich Aufnahmen von Njeruca … die Unterkünfte mit Wänden aus Pappe und Plastik … die verstopften Abwassergräben … und dann sah sie das Gegenteil davon in Golden Heights … die hübschen, geräumigen Häuser … die saubere, frische Luft … danach schwenkte die Kamera zurück in die Höhle. Sie sah die Gesichter der sieben Ausländer, die gierigen Gesichter der Wettbewerbsteilnehmer, und wieder fragte sie sich: ›Was wird geschehen, wenn Muturi mit den Arbeitern und Wangari mit der Polizei in die Höhle kommt?‹
    Wariinga gähnte, streckte sich und lehnte sich etwas entspannter, fast schläfrig, an den Baum. Aber ihre Gedanken machten unablässig seltsame Sprünge, als habe man ihnen völlige Freiheit gewährt, damit sie wandern konnten, wohin sie wollten, und tun, was ihnen beliebte.
    Wariinga sprach laut vor sich hin: »Einheimische und internationale Diebe, die in ein und demselben Schlupfwinkel versammelt sind und darüber diskutieren, wie sie das ganze Volk aussaugen können … kein Mensch hat so etwas je gesehen … ein Kindsoll nicht nur seine Mutter bestehlen, sondern auch noch andere auffordern, es ihm gleichzutun! … Offensichtlich gibt es also doch zwei Welten …«
    Noch ehe sie den Gedanken zu Ende denken konnte, hörte Wariinga eine Stimme, die sagte: »… und eine dritte Welt, eine revolutionäre Welt!«
2
    Wariinga erschrak; sie schaute sich nach allen Seiten um, sah aber niemand. Ihre schläfrigen Augen konnten nur verschwommen den grünen Rasen des Golfplatzes wahrnehmen, der sich weit, über viele Bodenwellen und kleine Hügel hinweg ausdehnte, bis er sich schließlich in weiter Entfernung am anderen Ende in winzigen Büschen verlor. Wariinga hatte Angst. Sie versuchte aufzustehen. Aber sie schien mit unsichtbaren Stricken aus Müdigkeit und Erschöpfung am Baum und am Erdboden festgebunden. Sie gab den Versuch auf. Und plötzlich bemerkte sie, daß sie überhaupt keine Angst mehr hatte, und sie sagte sich: ›Was auch immer kommen mag … ich werde nicht mehr vor den Auseinandersetzungen des Lebens davonlaufen … !‹ Und mit großem Mut antwortete sie der Stimme und fragte zurück: »Wer bist du?«
    Stimme: Ich bin ein umherziehender Geist. Ich wandere durch die Welt und mit mir trage ich den Baum, auf dem die Früchte der Erkenntnis wachsen. Jene, die davon essen, können zwischen Gut und Böse unterscheiden.
    Wariinga: Der Versucher?
    Stimme: Ach ja, natürlich, du gehörtest einstmals zur Kirche? Kirche zum Heiligen Rosenkranz, Nakuru?
    Wariinga: Na und?
    Stimme: Deshalb hast du mich so schnell gefunden.
    Wariinga: Ich kenne dich nicht.
    Stimme: Du willst mich also verleugnen? Du, die immer versucht hat, mich ans Kreuz zu schlagen?
    Wariinga: Ich habe gesagt, daß ich dich nicht kenne. Wer bist du?
    Stimme: Habe ich es dir nicht eben gesagt? Ich bin der umherwandernde Geist, der die Erkenntnis mit sich trägt, mittels dererdie Menschen zwischen Gut und Böse unterscheiden können. Ich bin auch Versucher und Richter.
    Wariinga: Ein Richter, der in Versuchung führt?
    Stimme: Ja, Richter der Seelen.
    Wariinga: Und was tust du dann hier? Oder bist du dabei, die Seelen derer zu verurteilen, die sich im Rauben und Stehlen messen?
    Stimme: Und du, was hast du hier zu suchen? Einer, der einer korrupten Person Gesellschaft leistet, wird selbst korrupt.
    Wariinga: Ich bin hierhergekommen, um Zeuge von wahrhaft erstaunlichen Dingen zu werden …
    Stimme: Gibt es einen Unterschied zwischen einem Dieb und einem, der ihm bei der Arbeit zuschaut?
    Wariinga: Ilmorog ist mein Zuhause.
    Stimme: In welcher Weise ist es dein Zuhause?
    Wariinga: Vater und Mutter … Unser gemeinsames Zuhause … Wie sollte es sonst mein Zuhause sein?
    Stimme: Allein die getane Tat verdient große Worte - aber große Worte allein vollbringen noch keine Tat …
    Wariinga: Nun? Was willst du damit sagen? Daß Ilmorog nicht mein Zuhause sei?
    Stimme: Jene, die Ilmorog als ihr Zuhause kannten, haben dies durch Taten bewiesen. Als sie sahen, daß ihr Zuhause brannte, schrien sie um Hilfe. Sie bemühten sich, Hilfe zu holen.
    Wariinga: Und wer sind diese Leute?
    Stimme: Wangari und Muturi, weißt du das denn nicht?
    Wariinga: Ich wüßte nicht, an wen ich mich wenden sollte.
    Stimme: Weil du weder warm noch kalt bist. Du hast eben gesagt, daß es zwei Welten gäbe.
    Wariinga: Ich habe nur ein Sprichwort wiederholt.
    Stimme: Und du kennst die beiden Welten

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