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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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bei sich. Und dann beschloß sie, daß es besser wäre, das Geheimnis sofort nach Hause zu bringen.
    Die Arbeiter sangen noch immer.
    Wariinga sagte Gatuiria, daß sie noch vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause gehen wolle, denn sie sei sehr müde.
    Gatuiria sank das Herz. Sein Gesicht verdüsterte sich, er war enttäuscht, denn er hatte gedacht, daß er Wariinga nach Hause begleiten würde. Aber er sah keine Möglichkeit, wie er sich ihr als Begleiter anbieten könnte.
    »Ich werde hierbleiben, um das Ende des Dramas abzuwarten … aber können wir uns morgen wiedersehen?«
    Sie beschlossen, sich am nächsten Tag um zwölf Uhr mittags im Sunshine Hotel zu treffen. Wariinga hätte Gatuiria am liebsten ein Lied vorgesungen - ein Lied, das sie früher oft gehört hatte, wenn es am Vorabend der Beschneidungszeremonien gesungen wurde, am Vorabend des Eintritts in ein neues Leben:

    Seht mich, hier bin ich!
    Seht mich, hier bin ich!
    Der Tag bricht an
    Tod und Leben sind eins für mich
    Denn der neue Tag bricht an!
    Als sie die Straße entlangging, fühlte sich Wariinga beschwingt, als seien ihr neue Flügel gewachsen. Sie wollte eigentlich auf ein Matatu warten. Aber dann fielen ihr plötzlich Mwaura und sein Matatu Matata Matamu ein und das Schicksal, das Mwireri wa Mukiraai erwartete. Deshalb beschloß sie, zuerst zum Green Rainbow Hotel zu gehen, um Mwireri wa Mukiraai davon abzuhalten, noch heute abend nach Nairobi zu fahren.
    Wariinga konnte nicht sagen, was sie dazu drängte. Aber sie empfand eine Art Schuld, denn sie selbst war mehrere Male schon von unbekannten Menschen vor dem Tod gerettet worden. Sie rief sich ihren Traum ins Gedächtnis zurück. War es nun wirklich ein Traum gewesen oder eine Vision? Wieder stellte sich Wariinga diese Frage. War die Stimme echt oder Einbildung gewesen?
    Nein. Es war wirklich die Stimme des Satans gewesen, die Stimme der Versuchung. Denn obwohl die Stimme ein wahrheitsgetreues Bild von den Vorgängen im Land gezeichnet hatte, und obwohl sie die neokoloniale Situation richtig beschrieben hatte, so mußte doch der Fluchtweg aus dem Gefängnis des neokolonialen Lebens, den die Stimme aufgezeigt hatte, in die Irre führen, und sie würde dabei ihr Leben verlieren! Ja, er setzte mich der Versuchung aus, eine breite und bequeme, mit einem Blütenteppich aus eigensüchtigem Individualismus bedeckte Straße einzuschlagen! Ja, er wollte mich in Versuchung bringen, noch einmal meinen Körper für Geld zu verkaufen! Ich sollte ihm meine Seele verkaufen, und übrig bliebe ein leeres Gehäuse wie Nding'uri wa Kahahami? Nur für Geld? Mein Gott! Nein! Einmal gefallen ist genug, beschloß Wariinga unwiderruflich, als habe ihr das Geheimnis, das sie für Muturi bei sich trug, unbeugsamen Mut verliehen, um den Teufel und all seine irdischen Versuchungen, mit denen er Patrioten zum Verrat verführen wollte, zu bekämpfen und zu besiegen.
    Kurz ehe sie das Green Rainbow Hotel erreichte, sah Wariinga zwei Armeelastwagen, voll mit bis an die Zähne bewaffneten Soldaten, in Richtung Höhle fahren. Hinter den Lastwagen kamen drei Panzerfahrzeuge. Oh, mein Gott, nun kehrt der Tod in der Höhle ein, sagte sich Wariinga. Sie dachte an die Arbeiter, die draußen vor der Höhle versammelt waren, an Gatuiria, an Muturi, sie dachte an all die Menschen dort.
    Dann fiel Wariinga das Geheimnis ein, das sie bei sich trug.
    Sie eilte weiter.
    Die Sonne war untergegangen, aber die Nacht war noch nicht hereingebrochen … Weil Wariinga so viele Gedanken durch den Kopf gegangen waren, hatte sie gar nicht bemerkt, daß sie bereits beim Green Rainbow Hotel , wo Mwireri wa Mukiraai wohnte, angekommen war, bis sie plötzlich die Neonschrift vor sich leuchten sah.
    »Mwireri wa Mukiraai?« fragte der Mann am Empfang, als habe er nicht deutlich verstanden, nach wem Wariinga gefragt hatte.
    »Ja.«
    »Er ist gerade eben abgefahren. Noch keine fünf Minuten sind vergangen, seit er das Hotel verlassen hat.«
    »Womit ist er abgereist?« fragte Wariinga.
    »Mit dem Matatu Matata Matamu Ford T, Kennzeichen MMM 333. Noch nie in meinem Leben habe ich ein Matatu mit so viel verrückter Reklame drauf gesehen. Wollt ihr wahre Gerüchte hören, dann fahrt mit im Matatu Matata Matamu … Wollt ihr wahren Klatsch …« Der Mann am Empfang bog sich vor Lachen. Wariinga ließ ihn stehen.
    Was soll das alles, was soll das bloß alles?, fragte sich Wariinga.
    Und plötzlich stockte ihr das Blut. In Ilmorog, in ganz Ilmorog hörte man

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