Der gekreuzigte Teufel
nichts anderes als durch die Luft hallende Schüsse und Schreie von Menschen, die einem das Blut in den Adern gerinnen ließen.
6
Am nächsten Tag ging Wariinga zur Bushaltestelle, um Muturi zu treffen.
Muturi war nicht da!
Dann ging sie zu Gatuiria ins Sunshine Hotel. Das Herz war ihrschwer, denn in Njeruca und in ganz Ilmorog redete man von nichts anderem als dem Fest in der Höhle und seinem Ende: dem Tod vieler Menschen. Einige sagten, zwanzig Leute seien getötet worden, andere behaupteten fünfzig, und wieder andere gaben die Zahl mit hundert an. Aber allen Berichten war gemeinsam, daß einige Leute vom Militär und der Polizei getötet und andere von Polizeichef Gakono festgenommen worden waren. Erst von Gatuiria erhielt Wariinga einen genauen Bericht über den Stand der Dinge: »Fünf Arbeiter wurden von den Streitkräften, die Gesetz und Ordnung aufrecht erhalten, getötet. Und die Arbeiter töteten zwei Soldaten. Aber auf beiden Seiten gab es sehr viele Verletzte.«
»Und was ist mit Muturi?« fragte Wariinga voll Angst und Ungeduld.
»Muturi? Muturi wurde festgenommen … zusammen mit dem Studentenführer … Den Anführer der Arbeiter konnten sie nicht festnehmen, denn die anderen hatten ihn schnell versteckt … Er ist jetzt untergetaucht … aber sie suchen ihn noch immer …«
Wariinga und Gatuiria schwiegen beide wie Eltern, denen der Tod ihre Kinder genommen hat. Sie saßen draußen im Hotelgarten an einem Tisch, rings um sie her grünte das Gras und blühten die Blumen. Der Tee, den sie bestellt hatten, wurde in den Tassen kalt.
Noch ehe Wariinga etwas sagen konnte, fügte Gatuiria langsam hinzu:
»Aber eines hat mich zutiefst erbittert - Radio Ilmorog erwähnte heute früh nicht einmal den Tod der fünf Arbeiter und die vielen Schwerverletzten. Statt dessen berichteten sie den Hörern ausführlich über den Tod der beiden Soldaten und über den Tod von Mwireri wa Mukiraai!«
»Mwireri wa Mukiraai?«
»Ja. Es hieß, er sei gestern abend auf dem Weg nach Nairobi in Kineenii bei einem Autounfall tödlich verunglückt …«
»Und Mwaura? Robin Mwaura?« fragte Wariinga wie betäubt.
»Er starb nicht … Er ist gerade noch davongekommen …«
Zehntes Kapitel
1
Und wieder ist es Samstag. Zwei Jahre sind vergangen, seit Wariinga auf dem Golfplatz von Ilmorog den Versuchungen des Teufels widerstand - zwei ganze Jahre, seit das »Fest des Teufels« in der Höhle der Diebe und Räuber das Leid gebar, das Gefängnis und Tod hieß - zwei Jahre großer Veränderungen im Leben von Wariinga und Gatuiria …
Zwei Jahre …
Wo soll ich meine Erzählung beginnen? Oder soll ich mich nicht mehr länger in das Leben anderer Menschen einmischen?
Wer urteilt, weiß nicht, wie andere über ihn urteilen werden.
Das Tier haßt nicht den, der es entdeckt, sondern vielmehr jenen, der es durch seinen Ruf verrät.
Aber ich war auch in Nakuru dabeigewesen. Meine Augen haben alles gesehen und meine Ohren haben alles gehört.
Wie kann ich ableugnen, was meine Augen gesehen und meine Ohren gehört haben? Soll ich etwa fliehen, und nicht die Wahrheit sagen?
Sie wurde mir offenbart.
Sie wurde mir offenbart.
Wo soll ich den Faden meiner Erzählung wieder aufnehmen? Hör zu, zwei Jahre waren vergangen …
Nein, ich werde eine andere Gangart anschlagen … Die Samen in der Kalebasse sind nicht alle von einer Art, und deshalb will auch ich in meiner Erzählung einen anderen Schritt und einen anderen Ton anschlagen.
So komm, mein Freund … komm, Freund … komm mit mir, daß ich dich die Wege führen kann, die Wariinga ging; komm, und wir wollen ihren Fußspuren folgen und mit den Augen unseres Herzens sehen, was sie sah, und mit den Ohren des Herzens hören, was Wariinga hörte, damit wir nicht voreilig, aufgrund von Gerüchten und Böswilligkeiten, unser Urteil fällen.
Die Wahrheit kann den gespannten Bogen brechen!
Und das ist gut, mein Freund.
So sollen die Dinge ihren Lauf nehmen,
Oh ja, es soll so sein - komm, Friede Gottes!
Eile dich, mein Freund … und auch du, Freund der Gerechtigkeit, eile … Lauft schneller, denn man muß früh genug zum Markt gehen, ehe das Gemüse unter der Sonne welk wird …
2
Wariinga, hier ist sie!
Sie wohnt jetzt im Ngara Viertel in Nairobi, in einem einzigen Zimmer in der vierten Etage eines siebenstöckigen Gebäudes. Es nennt sich Maraaro House.
Die erste Etage hatte man in eine Reihe Einzimmerwohnungen aufgeteilt für jene, die sich die Miete leisten konnten. Der
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