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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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Regeln: Erstens, laß niemals jemand wissen, daß du ein Mann ohne Seele bist. Zweitens, wenn du nach Hause kommst, dann nimm das Kind, das du am meisten liebst. Durchbohre seine Schlagader am Hals. Trinke all sein Blut, bis sein Körper ausgetrocknet ist. Koche den Körper und iß das Fleisch. Nding'uri, von jetzt an wirst du Menschenfleisch essen und Menschenblut trinken. Das habe ich aus dir gemacht!‹ Nding'uri sagte: ›Was? Was soll ich tun? Das strahlende Licht meiner Kinder zerstören?‹ Da sagte der Böse Geist: ›Hast du bereits vergessen, daß du keine Seele mehr hast? Daß du sie für Reichtum und Besitz verkauft hast? Merke dir, von heute an wirst du niemals mehr den Glanz und die Schönheit weder von Kindern noch von Frauen, noch von irgendeinem anderen menschlichen Wesen erkennen können. Du wirst nur noch den Glanz des Reichtums vor Augen haben. Geh jetzt, geh zurück! Verschlinge den Schatten der anderen! Mit dieser Aufgabe habe ich dich betraut, bis zu dem Tage, an dem ich kommen werde, um dich zu holen.‹
    Von jenem Tag an ergriff der Reichtum Besitz von Nding'uri. Seine Fürze stanken nach Reichtum, er schiß, er nieste, er kratzte Reichtum, er lachte Reichtum, dachte Reichtum, träumte Reichtum und redete Reichtum, er schwitzte und pißte Reichtum. Der Reichtum flog den anderen aus der Hand und landete in Nding'uris Fingern. Die Leute begannen sich zu fragen, warum wohl der Reichtum ihren Händen entglitte, um schließlich einem einzigen Mann in die Finger zu geraten? Und außerdem, warum trug Nding'uri jetzt wohl Ringe aus blankem Eisen an den Händen? Um nicht mehr arbeiten zu müssen?
    Nding'uris Charakter und Verhalten änderten sich. Er wurde niederträchtig, er wurde grausam. Er war jetzt ständig in Prozesse verwickelt, bei denen es darum ging, den Grundbesitz anderer an sich zu reißen und seine Grundstücksgrenzen immer weiter auf Land und Eigentum der anderen auszudehnen. Er hatte keine Freunde. Seine Gemeinheit wucherte, allen sichtbar, wie die Schößlinge einer Süßkartoffel. Wenn die Leute Hungers starben, dann war Nding'uri glücklich — ja, denn nun entledigten sich die Leute ihres Eigentums wie zerbrochener Kochtöpfe.
    Den Leuten aus seinem Dorf drängten sich viele Fragen auf: ›Wo ist seine weise Zunge geblieben? Was ißt er mitten in der Nacht, alleine, wie ein Zauberer? Wenn er das Eigentum eines anderen sieht, läuft ihm das Wasser im Munde zusammen — gelangt es in seinen Besitz, so ist sein Hunger schnell gestillt. Seht ihr, wie sein Schatten groß und größer wird, und unserer wird immer kleiner? Könnte es sein, daß sein Schatten unsere Schatten verschlingt, und einer nach dem anderen von uns tot umfällt?‹
    Eine Abordnung der Dorfältesten, Nding'uris Altersgenossen, wurde zu ihm entsandt. Sie sollten ihn darauf aufmerksam machen, daß es nicht üblich sei, auf dem Dorfplatz eine tiefe Grube auszuheben (denn die eigenen Kinder könnten hineinfallen). Sie gingen hin und sagten zu ihm: ›Nding'uri, Sohn Kahamanis, höre die Stimme des Volkes. Deine Ohren sind nicht verstopft. Und sollten sie es doch sein, so nimm einen Holzspan und säubere sie!
    Die Stimme des Dorfes ist die Stimme der Bewohner des ganzen Bergrückens, sie ist die Stimme des Landes, sie ist die Stimme der Nation, und sie ist die Stimme des Volkes. Nding'uri, die Stimme des Volkes ist Gottes Stimme. Wir überbringen dir folgende Botschaft: Meide die Wege der Zauberer und Mörder. Läßt du dich vom Glanz des Reichtums blenden, so ist es der Glanz des Bösen Geistes, der dich blendet. Aber im Glanz deines Volkes wirst du das Angesicht Gottes sehen. Glücklich ist der Mann, der willens ist, den Schatten seines Volkes zu verteidigen, er wird niemals sterben, denn sein Name wird für immer in den Herzen der Menschen weiterleben. Wer aber den Schatten seines Volkes verkauft, wird verdammt sein! Denn die zukünftigen Generationen werden seinen Namen auf ewig verfluchen; wenn er stirbt, so wird aus ihm ein böser Geist.‹
    Nding'uri lachte nur und fragte sie: ›Was ist ein Dorf? Was ist eine Nation? Was ist ein Volk? Verschwindet und erzählt all dies einem anderen. Warum könnt ihr nicht auf euch selbst und auf euren Schatten aufpassen? Warum seid ihr so faul, daß ihr euch nicht einmal bücken mögt, um einen Sandfloh von euren Füßen zu entfernen? Ihr könnt reden, bis es regnet oder der Himmel einstürzt, aber eure Worte sind in den Wind gesprochen. Seht doch, meine Angelegenheiten sind in

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