Der gekreuzigte Teufel
aber nicht fort zu sagen, was er eigentlich im Sinn gehabt hatte, sondern stellte eine indirekte Frage. »Wangari, wirst du dich gleich mit Gold, Brillanten, Perlen und anderem Zierat behängen?«
Wangari, Muturi und Mwaura lachten. Noch immer lachend gingen sie hinaus. Mwaura fühlte sich erleichtert — warum war ich bloß so beunruhigt?
»Ich würde viel lieber Ohrringe aus trockenen Maisstengeln anlegen«, gab Wangari Mwaura zur Antwort. »Die einzige Schwierigkeit dabei ist nur, daß ich die Gelegenheit verpaßt habe, meine Ohrläppchen durchstechen zu lassen.«
»Warum?« fragten Muturi und Mwaura.
»Weil damals andere Zeiten waren; der Sinn stand uns nicht danach, uns mit Blumen und Halsbändern zu schmücken. Zu unseren Zeiten schmückte man sich mit Munition für den Kampf um Kenias Freiheit!« sagte Wangari voller Stolz, denn sie wußte, daß die Taten ihrer Jugend die Geschichte Kenias verändert hatten.
Mwaura lachte plötzlich nicht mehr. Sorge und Unruhe beschlichen ihn. Sein Gesicht verdunkelte sich, sein Herz begann zu klopfen, als wollte es ihm sagen:
»Könnte es sein, daß ich Gefahr für mein eigenes Leben in meinem Matatu transportiert habe? Eine Laus im eigenen Pelz?«
Aber Muturi schaute Wangari an und plötzlich floß sein Herz über vor Glück und Stolz. Wangari, Heldin Kenias — alle Wangaris Heldinnen für unser Land! Sollte ich ihr etwas von dem Auftrag sagen, der mich heute hierhergeführt hat? Damit wir uns gegenseitig helfen können, sie und ich? »Nein, die Zeit ist noch nicht reif dafür, ich werde sie noch eine Weile beobachten«, flüsterte er und sein Blick lag noch immer auf Wangari. »Aber nachher … nachher …« flüsterte er wieder. Dann aber fiel ihm die ganze Prahlerei und Angeberei in der Höhle wieder ein und es war ihm nach Weinen zumute. »Kommt hier raus«, drängte er Wangari und Mwaura, »gehen wir von hier weg!«
Fünftes Kapitel
1
Als Wariinga und Gatuiria aus der Höhle hinaustraten, blieben sie zunächst unter dem Eingang stehen. Die Sonne schien hell über die Bergrücken und Ebenen von Ilmorog. Stille lag über dem Land. Weder Kälte noch Wind waren zu spüren.
»Obwohl ich eben im gleißenden Licht der elektrischen Beleuchtung gesessen habe, komme ich mir vor, als hätte ich mein ganzes Leben in der Dunkelheit verbracht«, seufzte Wariinga und fügte dann halb singend hinzu: »Preiset die Sonne Gottes, heißet das Licht Gottes willkommen!«
»Du hättest das Licht unseres Landes preisen sollen!« meinte Gatuiria.
»Das Licht, das wir in der Höhle hinter uns gelassen haben, oder ein anderes Licht?« fragte Wariinga mit leichtem Spott in der Stimme.
»Nein. Ich meine das Licht, das die auszulöschen drohen, denen wir eben entronnen sind.«
Sie gingen jetzt langsam und schweigend auf die Hauptstraße zu. Dann fingen sie plötzlich an zu reden. Aber es war eigentlich keine richtige Unterhaltung, es war vielmehr, als hätte ihnen ein Traum Verse eingegeben, die sie nun wie bei einem Songwettbewerb anstimmten.
Gatuiria:
Gegrüßt sei unser Land
Gegrüßt seist du, Mount Kenya
Gegrüßt sei unser Land
Nie soll es dir an Wasser, Nahrung und grünen Feldern mangeln
Wariinga:
Gegrüßt seist du, Schönheit des Landes
Gegrüßt seist du, Land von tiefen Seen umringt!
Vom Turkana-See bis Naivasha,
Von Nam-Lolwe bis Mombasa,
Gegrüßt seist du, Band der blauen Wasser!
Gatuiria:
Gegrüßt seid ihr, Wächter über dem Land!
Vom Mount Kenya zu den Mbiruiru Bergen,
Von Kianjahi zu den Bergrücken von Nyandarua,
Von Wairera bis zum Mount Elgon!
Gegrüßt seid ihr, Wächter der Natur über unserem Land!
Wariinga:
Und hört den Ruf des Landes!
Die Flüsse, die nach Osten fließen
Ruiru, Cania, Sagana,
Tana River, Athi River, Kerio River —
Sie fließen nach Osten, hört ihren Ruf:
Kommt, eilt herbei und preiset das Land!
Gatuiria:
Denn dieses Land ist teuer erkauft,
Erlöst mit Blut und Tränen …
Wariinga:
… von Männern und Frauen,
von Eltern und Kindern.
Gatuiria erwachte als erster aus dem Traum ihres gemeinsamen Singens. Voll Bitterkeit sagte er: »Und dieses Land wird nun an Ausländer verkauft!«
Anstatt zu antworten, stimmte Wariinga das Lied an, das Wangari und Muturi bei der Fahrt durch die Nacht in Mwauras Matatu gesungen hatten:
Ausländer in Kenia
Packt ein und geht,
Die Besitzer des Hauses sind bereits auf dem Weg!
»Aber vor ihrer Ankunft entdecken die Besitzer, daß das Haus bereits verkauft ist!« sagte
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