Der gekreuzigte Teufel
Oder die ekelhaften Gräben ohne Abfluß, voll mit schmutzigem Wasser, Kot und Urin? Und nackte Kinder, die in genau diesen Gräben herumplantschen? Ein Slum ist wie der andere. Hier in Njeruca gibt es keinerlei Kanalisation. Kot und Urin und die Kadaver toter Hunde und Katzen verbreiten in der ganzen Gegend einen solchen Gestank, als bestünde sie aus nichts anderem als aus purer Fäulnis. Zu diesem Gestank kommen noch die gefährlichen Abgase aus dem Industriegebiet — der Wind bläst sie nach Njeruca herüber —, und außerdem wird aller Müll und Abfall aus den Fabriken dortabgeladen. Verstehst du jetzt, warum ich Njeruca mit der Hölle verglichen habe? Ein ganzes Volk in einem Loch voller Flöhe, Läuse und Wanzen zu begraben — welche Hölle könnte schlimmer sein?« Bitterkeit war in Wariingas Stimme, als sie ihren Bericht beendete.
»Flöhe … Läuse … Wanzen … sollte es dort noch mehr geben als in der Höhle? Nur daß in der Höhle die Menschen das Ungeziefer waren!« Langsam stellte Gatuiria diese Frage, als spräche er mit sich selbst.
Da sahen sie ein kleines Matatu in voller Geschwindigkeit heranfahren. Wariinga winkte und es hielt an. Sie stiegen ein. Kurz darauf waren sie in der New Ilmorog Butchery , einer Metzgerei, die einem einäugigen Mann namens Tumbo gehörte. Gatuiria verlangte drei Pfund Ziegenfleisch. Er sagte zu Tumbo, er solle ein paar Rippen dazutun, aber unter gar keinen Umständen Innereien. Tumbo beäugte ihn mit dem Mono-Auge und machte ihm dann klar, daß er, Tumbo, nie ein Stück Fleisch verkaufen würde, ohne ein paar Innereien dazuzutun — er, Gatuiria, solle bitte daran denken, daß er sich hier in Njeruca befände, wo die armen Leute wohnten, und nicht in Golden Heights bei den Reichen. Gatuiria bat ihn dann, ein Stück Leber dazuzulegen. Damit war Tumbo einverstanden.
Gatuiria und Wariinga gingen nach hinten, wo ein Laden an Tumbos Metzgerei angebaut war. Vorne war der Verkaufsraum, aber hinten waren mehrere Gasträume. Viele Kunden saßen auf leeren Bierkästen und tranken ihr Bier. Der größte Raum war ganz voll mit Gästen, aber der Mann hinter der Theke zeigte Gatuiria und Wariinga einen Raum, der noch leer war. Sie setzten sich auf leere Bierkästen. Der Mann brachte ihnen zwei Flaschen Bier, Marke Tusker. Während sie warteten, bis das Fleisch gebraten war, tranken sie ihr Bier aus der Flasche.
»Die Reden in der Höhle haben mich völlig ernüchtert«, sagte Wariinga.
»Um ganz ehrlich zu sein, auch mir fiel es schwer zu glauben, daß ich mich tatsächlich in Kenia befinde!« sagte Gatuiria. Dann schüttelte er den Kopf, und mehr zu sich selbst meinte er: »Moderner Diebstahl … moderner Raub … so stimmt es also doch, daß das Gebäude des modernen Fortschritts auf den Leibern der Menschen errichtet wird?«
»Hast du den Teufel gefunden, den du gesucht hast?« fragteWariinga lachend. »Oder erinnerst du dich nicht daran, daß du uns gestern abend erzählt hast, du kämst in diese Gegend auf der Suche nach überzeugenden Themen für deine Komposition? Oder haben die Einladungskarten von Mwireri wa Mukiraai deinen Teufel von der Bühne verdrängt?«
»Wahrscheinlich war ich etwas zu voreilig«, sagte Gatuiria, »ich denke, ich habe der anderen Karte zu viel Glauben geschenkt und mir zu viele Hoffnungen gemacht. Wenn man etwas glaubt, dann glaubt man es, und dieser Glaube braucht eigentlich keine Beweise, um Wurzeln zu schlagen. Wesentlich ist nur der Gedanke, auf dem man die musikalischen Themen aufbauen kann.«
»Du hast also keinen einzigen Teufel entdeckt, nicht mal unter den Ausländern?« fragte Wariinga.
»Ich meine nur, es ist eigentlich egal, ob der Teufel wirklich existiert oder ob er nur ein bestimmtes Bild von der Welt ist.«
»Aber wo sind dann die Schwierigkeiten geblieben, die dich so bedrückt haben?« drängte ihn Wariinga. »Oder gleichst du dem armen Tänzer, der behauptet, er könne nicht tanzen, weil der Boden zu steinig sei?«
»Nein … not quite … nicht ganz so … but« , begann Gatuiria und stockte dann, als hätten ihn Wariingas Fragen aus dem Konzept gebracht. »You see … Musik oder besser, eine Musikkomposition …« Hier stockte er wieder, als sei er nicht ganz sicher, was er eigentlich sagen wollte. »Ich sehe das so: eine künstlerische Komposition muß durch Liebe inspiriert sein — Liebe zu unserem Land —, eine Liebe, die den Komponisten dazu inspiriert, einen Lobpreis auf die Schönheit, die Einheit, den Mut,
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