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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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die Reife, die Tapferkeit und die Großzügigkeit seines Landes zu singen … Ich habe immer davon geträumt, eine Komposition zu schaffen, in der die heldenhaften Taten unserer Nation verherrlicht würden … zu Ehren unserer Nationalhelden … wie Beethoven, als er die Eroica zu Ehren Napoleons komponierte … Oder Serge Prokofieff, der ein Oratorium über die Taten Alexander Nevskys, einem ihrer Nationalhelden, geschaffen hat. Ich möchte gerne eine Musik komponieren, in der die Seele und alle Hoffnungen und alle Träume unserer Nation Ausdruck finden. Aber welches Gerede mußte man sich in dieser Höhle anhören! War das nicht wie der Frost am frühen Morgen, der die Liebe zum Vaterland im Keime erfrieren läßt?«
    »Nein!« erwiderte Wariinga schnell. »Solche Reden sind wie Regen, der die begrabene Liebe zu unserem Land zum Sprießen bringen sollte. Es gibt keine Liebe ohne Haß. Woher willst du wissen, was du liebst, wenn du nicht weißt, was du haßt? Nimm als Beispiel ein Baby, das noch nicht sprechen kann. Mit seinem Schreien deutet es seine Wünsche an. Haben wir nicht beide, als wir die Höhle verlassen hatten, Lieder für unser Land gesungen? Auch in Kenia hat es Helden und Männer gegeben, die sehr wohl eine patriotische Komposition inspirieren könnten! Wurde Kimathi nicht von den Frauen Kenias geboren? Dein größtes Problem ist, daß du keine Liebe kennst, denn du hast noch nie erfahren, was Haß ist. Es stimmt ja, daß ein Kind, das von seinen Eltern umsorgt wird, niemals Kot essen würde, wird es aber mit ängstlich beschützender Liebe umgeben und erzogen, dann wird es nie etwas lernen. Es wird nie zu unterscheiden wissen zwischen Schmutz und Sauberkeit, zwischen Haß und Liebe … Weiß erst zeigt uns, was schwarz ist. Jene, die dort noch in der Höhle sind, öffnen uns jetzt die Augen für die wahren Helden unseres Landes.«
    »Nein, nein, du hast einiges durcheinander gebracht«, antwortete Gatuiria schnell, als habe Wariinga eine empfindliche Stelle in seinem Herzen berührt.
    »Wenn es so ist, dann sage mir, was du haßt, und ich werde dir sagen, was du liebst. Oder weißt du etwa gar nicht, wo du stehst?«
    »Oh Mädchen, warum lenkst du meine Gedanken nach Hause zurück und rührst an Erinnerungen, die ich lieber vergäße?« sagte Gatuiria.
    »Woher stammst du?«
    »Aus Nakuru. Mein Vater ist Großunternehmer. Ihm gehören mehrere Geschäfte in Nakuru und viele Farmen im Rift Valley. Dazu eine Menge anderer Unternehmen für den Export und Import von Schuhen, Stoffen, Blumen und Samen; nenne irgendeinen Handel — mein Vater hat bestimmt seine Finger darin. Er hat eigene Flugzeuge für viele dieser Export- und Importgeschäfte. Ich bin sein einziger Sohn. Er hatte es sich zum Ziel gesetzt, mich nach Amerika zu schicken, damit ich dort lernen sollte, Besitz und Gewinn zu verwalten …Betriebswirtschaft … genau das, womit Mwireri wa Mukiraai gestern abend so geprahlt hat … Aber ich wollte nie in meines Vaters Fußstapfen treten …«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich immer auf der Seite der Arbeiter in seinen Teeplantagen war. Sie waren es, die mir wunderschöne Lieder vorsangen, die mir aufregende Geschichten erzählten und die mir oft auf ihren Gitarren oder ihren Bambusflöten vorspielten … Ich sah die Bretterhütten, in denen sie lebten, ich sah, was sie zu essen hatten, und ich sah die Lumpen, in die sie gekleidet waren; und wenn ich diese Armut mit dem Reichtum ihrer Lieder und der Tiefe ihrer Weisheit verglich, dann ergriff mich ein unbändiger Haß gegen meinen Vater. Waren die Arbeiter nicht ebensolche Menschen wie wir auch? Manchmal schlug mein Vater sie mit der Peitsche, er mißhandelte sie und nannte sie dumme Ochsen! Und einmal habe ich ihn sogar gesehen, wie er meine Mutter schlug, weil sie ihn gebeten hatte, einen sehr alten Mann nicht mehr zu schlagen! Als ich dann später viele Dinge in Frage stellte, zeigte mir mein Vater den Stock und verbot mir, zu den Unterkünften der Arbeiter zu gehen. Das hinderte mich aber nicht daran, meine Besuche bei den Arbeitern fortzusetzen. Aus diesem Grund hat er mich wohl, als ich noch sehr jung war, nach Amerika geschickt …«
    »Wie lange warst du in Amerika?«
    »Fünfzehn Jahre …«
    »Fünfzehn Jahre in einem fremden Land?«
    »Ich habe dir doch erzählt, daß ich kurz nach dem Schulabschlußexamen dorthin ging. Ich hatte kein Stipendium. Mein Vater bezahlte alles …«
    »Was hast du während all dieser Jahre studiert?«
    »Vieles.

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