Der gekreuzigte Teufel
Gatuiria. »So stimmt es also doch, daß solche Ausverkäufe am hellichten Tag getätigt werden?«
»Ja, beim Trinken zum Beispiel«, sagte Wariinga sarkastisch.
»Oder beim Golfspielen«, meinte Gatuiria.
»Und im Saunabad in den teuren Hotels.«
»Und beim Tanzen in exklusiven Nachtklubs.«
»Ja, und wenn sie in ihren Höhlen und Schlupfwinkeln Lieder zum Angeben singen«, sagte Wariinga. »Gott helfe meinem geliebten Kenia … was ist über mich gekommen? Mein Herz istso übervoll, daß ich nur noch weinen möchte … So habe ich noch nie über diese Dinge nachgedacht …«
»Vielleicht kommt das von dem Whisky, den du getrunken hast«, erwiderte Gatuiria. »Komm, wir suchen ein Restaurant, wo es gebratenes Ziegenfleisch gibt!«
»Hier in Golden Heights?« fragte Wariinga.
»Nein, gibt es außer diesem Ort hier, wo man uns Luft in winzigen Kalebassen verkaufen will, nicht auch noch etwas anderes, wo man hingehen könnte?« fragte Gatuiria.
»Gute frische Luft aus Europa zu verkaufen!« schrie Wariinga, als wolle sie Kunden anlocken, um ihnen weiße Luft zu verkaufen.
Gatuiria und Wariinga schauten einander an. Ihre Blicke trafen sich und verstanden sich. Sie lachten zusammen. Wariinga fühlte ihr Herz leichter werden.
»Wir könnten nach Njeruca gehen«, schlug Wariinga vor.
»Ist das ein Restaurant?« fragte Gatuiria. »Njeruca … wo habe ich diesen Namen schon einmal gehört?«
Wariinga lachte. Während sie langsam die Straße hinuntergingen, erzählte sie ihm mehr über Ilmorog.
»Ilmorog sind viele Dörfer in einem. Fangen wir bei den Außenbezirken der Stadt an, dort wohnen die Bauern oder, besser gesagt, jene, deren Streifen Land noch nicht von den Banken versteigert oder von den Reichen und Mächtigen an sich gerissen worden sind. Dort ist auch das Einkaufszentrum mit Textilgeschäften, Lebensmittelläden, Haushaltswaren und allen möglichen anderen Läden. In diesem Stadtteil haben auch die Banken ihren Sitz. Dann gibt es das Industriegebiet. Dort findest du die große Bierbrauerei, aus der das Theng'eta Bier kommt, die Theng'eta Brauerei.
Die Stadt hat zwei Wohnbezirke. Der erste ist das Wohngebiet Ilmorog Golden Heights. Früher hieß es Cape Town, aber heutzutage ist es unter dem Namen Golden Heights oder einfach Heights bekannt. Die Luft dort ist gut und sauber, und wer in Ilmorog einen Namen hat, der wohnt da.
In Golden Heights stehen die Häuser der Mächtigen. Aber Häuser ist der falsche Ausdruck, man sollte sie besser Villen nennen — Häuser oder die pure Pracht. Mit Steinen aus Njiru sind die Wände gemauert, aus roten Ziegelsteinen sind die Dächer. Die Fenster haben Glasscheiben, dunkelblau, wie dasWasser der Seen oder wie der Himmel an einem wolkenlosen Tag; aus Sicherheitsgründen hat man sie mit Eisenstangen in Form von Blumen geschmückt. Die Türen sind aus Teakholz, in das man alle möglichen Verzierungen geschnitzt hat. Die Fußböden sind mit poliertem Holz ausgelegt, das so glatt und glänzend ist, daß man sich darin sehen kann, ja, man kann es sogar als Spiegel benutzen, wenn man sich die Haare machen will. Die Bewohner von Golden Heights stehen in ständigem Wettbewerb miteinander. Wenn einer eine Zehn-Zimmer-Villa mit zehn Kaminen baut, dann wird der nächste eine Zwanzig-Zimmer-Villa mit zwanzig Kaminen bauen. Wenn dieser seine Teppiche aus Indien kommen läßt, so wird der andere seine aus dem Iran kommen lassen, und so weiter …
Der andere Wohnbezirk heißt New Jerusalem, kurz Njeruca. Das ist das Wohngebiet für die Arbeiter, die Arbeitslosen, ja, für alle Armen Kenias. Aber es sind ja keine Häuser, in denen sie wohnen — vielleicht sind es die Spatzennester, von denen Kihaahu wa Gatheeca sprach! Die Wände und die Dächer der Hütten sind aus Blechstücken, alter Dachpappe und Plastiktüten zusammengesetzt. Das sind die Slums von Ilmorog. Und dort wird Maatheng'eeta, Chang'aa, Chibuku und anderes illegales Bier gebraut, das durch die Zugabe von Chinin und Aspirin noch stärker und giftiger gemacht wird, um die Arbeiter in den völligen Stumpfsinn zu treiben. Manchmal denke ich, Njeruca könnte tatsächlich die Hölle sein, so, wie sie in der Bibel der Christen vorhergesagt ist …«
»Warum?« fragte Gatuiria. »Wie sieht es dort aus?«
»Warum fragst du so, als wärst du Ausländer? Bist du noch nie in den Slums von Nairobi gewesen und hast die endlosen, die Wände auf und ab marschierenden Armeen von Flöhen und Wanzen mit eigenen Augen gesehen?
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