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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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Leute wie Boss Kihara ihr den Hof machen und sie zu Fahrten im Mercedes an die Seen und Meere des Vergnügens in Naivasha und Mombasa einladen; oh ja, laß sie die verführerischen Wunder eines Nachmittags und einer Nacht in einem teuren Hotel in Nairobi erleben, und ich sage dir, daß unsre Jungfrau eines Morgens erwachen wird und ihre früheren Träume liegen wie Tonscherben am Fußboden. Dort, auf dem sandigen Boden verstreut, liegen ihre zerbrochenen Träume.
    Du studierst doch die Kultur der Völker — sag mir, kann man ein zerbrochenes Tongefäß wieder flicken? Wo ist der Schöpfer, der die zerbrochenen Träume einer Jungfrau wieder ganz machen und zu neuem Leben erwecken kann? So wie die Taube, von der man erzählt, sie habe einst einem Mädchen das Leben wiedergeschenkt. Nein, nein, nein …! Wie drückten es die jungen Männer in ihrem Muthuu-Tanzlied aus?

    Welch ein Anblick –
    Das Tongefäß ist zerbrochen!
    Als ich aus Nairobi zurückkehrte
    Wußte ich nicht,
    Daß ich je ein Kind gebären würde,
    Ein Kind mit dem Namen
    ›Der du seltsamen Mut hervorbringst‹
    Kommt, die ihr von meiner Sippe seid, und weint mit mir! Kommt und seht die seltsamen Wunder unserer modernen Zeit! Heute kennt man uns nur noch dafür, daß wir Kinder tragen, die dem Untergang geweiht sind, anstatt Kinder zu tragen, die zu Helden heranwachsen werden … Nein, nein … wenn ein Tongefäß zerbrochen ist, kann es nie wieder geflickt werden … So zerbrechen Sugar daddies unsere Träume, die Träume der Sugar girls …«
    Plötzlich sah Gatuiria Tränen über Wariingas Gesicht strömen und zu Boden fallen.
    »Wariinga! Wariinga, was hast du?« fragte Gatuiria überrascht — was habe ich dieser Frau angetan?
    Wariinga griff nach ihrer Handtasche, holte ein Taschentuch heraus und wischte sich die Tränen ab. Sie versuchte zu lächeln, aber es wollte ihr nicht ganz gelingen. Sie sprach weiter, ihre Stimme klang noch immer traurig.
    »Ach, es ist nichts … und doch ist da etwas … Was kann ich einem Menschen erzählen, der für mich bisher ein Fremder war? Aber schließlich ist es ja kein Geheimnis, obwohl ich noch nie mit jemand darüber gesprochen habe — es widerfährt so vielen Mädchen, überall im Land … Als du deine Geschichte erzähltest, ist in mir die Wut über mein eigenes Leben wieder hochgekommen, und ich sah nur allzu deutlich, wie meine eigenen Träume — ja, meine, Wariingas Träume — zu Scherben wurden, wie das Tongefäß, von dem die jungen Männer sangen … Was soll ich dir jetzt erzählen, wo beginnen?
    Die Wahrheit sei mein Zeuge — selbst heute, wo wir hier sitzen, oder auch wenn ich allein bin und alles still ist, wenn ich über etwas nachdenke, wenn ich an der Schreibmaschine sitze und tippe, oder wenn ich einfach auf der Straße gehe, höre ich oft das schwere Dröhnen des Zuges, der über die Gleise heranrollte und auf mich zukam — auf mich, die auf ihn wartete, damit er mich von allen Schwierigkeiten befreite, die mir in Nakuru widerfahren waren. Ich stand mitten auf den Schienen in der Nähe des Bahnübergangs bei der Kabacia Siedlung, Bezirk 58 in Nakuru. Es war gegen elf Uhr an einem Sonntagmorgen. Der Zug kam, ließ Dampf ab, keuchte schwer und schien zu singen:

    Auf dem Weg nach Uganda
    Auf dem Weg nach Uganda
    Auf dem Weg nach Uganda
    Auf dem Weg
    Auf dem Weg
    Weg
    Weg
    Weg
    Auf dem Weeeeeeg … uuuuuuu-u!
    Ich schloß die Augen. Ich begann zu zählen, eins, zwei, drei, jetzt, nimm mich miiiit …«
    Wariinga schlug die Hände vors Gesicht. Sie zitterte am ganzen Körper, als stünde sie tatsächlich vor dem Zug; Schweiß stand ihr im Gesicht, als sähe sie den Zug, der sie unter seinen Rädern zermalmen würde, auf sich zukommen. Gatuiria stand schnell auf, legte ihr die Hände auf die Schulter und schüttelte sie sacht.
    »Was hast du, Wariinga? Ist es so schlimm?« fragte er.
2
    Jacinta Wariinga wurde 1953 in Kaamburu, Githunguri Kia Wairera geboren. In jenen Tagen wurde unser Land von den britischen Imperialisten regiert, und zwar mit Hilfe von drakonischen Gesetzen, die den Namen »Ausnahmezustand« erhielten. Und da unsere patriotischen Kämpfer unter der Führung von Kimaathi wa Waciuri den Tod als unumgängliche Sache, die zum Leben gehörte, ansahen, hatten sie mit dem Einigkeitseid geschworen, gegen die britischen Terroristen, die Johnnies, zu kämpfen, bis Folter und Unterdrückung im Land beendet seien. Die Wälder am Mount Kenya und in Nyandaarua hallten wider vom

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