Der gekreuzigte Teufel
ständiges Gebet war, daß Wariinga in der Schule Fortschritte machen würde, um ihre Eltern eines Tages von den Ketten der Armut zu befreien. Wariinga lernte schnell und war oft Klassenerste. Sie war es, die den Kindern der Tante in Mathematik weiterhalf, sogar denen, die eine Klasse über ihr waren. Die Ergebnisse der Schulabschlußprüfung zeigten, daß Wariinga zu denen zählte, die am besten abgeschnitten hatten. Sie wurde zur Höheren Schule in Nakuru, der Nakuru Day Secondary , zugelassen.
Das war Wariingas glücklichste Zeit. Sah sie sich in ihrer Schuluniform mit blauem Rock, weißer Bluse, weißen Strümpfen und schwarzen Schuhen, dann hätte sie vor Freude weinen können.
Selbst noch die Jahre in der ersten und zweiten Klasse der Höheren Schule waren glückliche Jahre. Wariinga dachte an nichts anderes, als die Schule mit Auszeichnung abzuschließen — all ihre Hoffnungen setzte sie darauf. Mit ihren Büchern und dem Schreibzeug unter dem Arm durchquerte Wariinga jedenTag die Reihen der grasgedeckten Hütten, dann ging sie am städtischen Krankenhaus vorbei, das zu ihrer Rechten lag, und kam hinunter zur Ladhies Road. An der Kreuzung ließ sie die Straße nach Bondeni links liegen und die Straße zum Stadtzentrum rechts, und ging geradeaus hinüber zur Ronald Ngala Street, die sie am Haus der afrikanischen Nonnen, die in der Nähe der Kirche zum Heiligen Rosenkranz wohnten, vorüberführte. Dort überquerte sie die Oginga Odinga Road und ging dann weiter zu ihrer Schule.
Abends, auf dem Heimweg von der Schule, folgte sie der Oginga Odinga Road, die sie am Afraha Stadion vorbeiführte, und bog dann bei der Menengai Highschool ab, um am Krankenhaus und am Schlachthof entlang den Hang zum Bezirk 58 hochzusteigen. Wenn man ihr jedoch noch Besorgungen in der Stadt aufgetragen hatte, dann nahm sie ihren Heimweg über das Stadtzentrum an den Gerichtsgebäuden und den Gebäuden der Stadtverwaltung vorbei.
Aber nirgendwo hielt sich Wariinga unnötigerweise auf. Damals kannte sie nur zwei Aufenthaltsorte — Schule und Zuhause.
Auf ihren Wegen — morgens in die Schule und abends nach Hause — fühlte sich Wariinga oft als die Königin alles Wissens in ganz Nakuru. Sie lebte von süßen Träumereien; sie freute sich ihres Körpers, genoß das warme Blut und das reine Herz ihrer aufblühenden Jugend. Aber der Traum aller Träume war, erfolgreich die Schule abzuschließen und einen Studienplatz an der Universität zu finden. Sie hatte sich ein Ingenieurstudium zum Ziel gesetzt — sie wollte Elektro-, Maschinenbau-, Wasser- oder Bauingenieur werden. Schloß sie die Augen und versuchte zu ergründen, was das Morgen ihrem Leben bringen würde, dann ließ das Wort Ingenieur ihr Herz höher schlagen. Wariinga hatte nie verstanden, warum sich Mädchen fast nie für einen so anforderungsreichen Beruf entschieden und warum dieser ganze Bereich den Männern überlassen wurde. »Es gibt keinen Beruf, den ein Mädchen nicht ausüben könnte, wenn sie sich dafür entschließt und daran glaubt«, pflegte Wariinga den anderen Mädchen zu sagen, die oft über ihre wagemutigen Gedanken lachten. Aber sie waren alle davon überzeugt, daß Wariinga ein Ingenieurstudium erfolgreich abschließen könnte — es gab kein Mädchen und auch keinen Jungen in der Nakuru Day Secondary , die es in Mathematik hätten mit ihr aufnehmen können. DieKunde von ihrem mathematischen Wissen hatte sich weit verbreitet, so daß ihr Name an allen benachbarten Schulen bekannt war — an der Afraha-Schule , den St. Josephs und St. Xavier Schulen, an der Crater-Schule , der Lake Nakuru Secondary und darüber hinaus sogar an Schulen wie der Nakuru Highschool.
Tag und Nacht lernen, jeden Sonntag zur Kirche gehen, der Tante bei der Arbeit auf den Feldern helfen, die zwar der Stadt gehörten, die sie aber in Baari und Kilimani, in der Nähe des Menengai-Kraters, bebauen durften — das war Wariingas Lebensrhythmus von Montag bis Sonntag. Überall im Bezirk 58 rühmte man ihre Aufrichtigkeit, ihren Fleiß bei der Feldarbeit und ihren Eifer bei allem, was sie tat.
Dann, an einem Samstag nachmittag gegen vier Uhr, als sie und die Kinder ihrer Tante von den Feldern am Menengai-Krater nach Hause zurückkehrten, begegnete Wariinga zum ersten Mal in ihrem Leben dem Tod. Sie waren am Anbau des Nakuru General Hospital vorbeigegangen, hatten die Straße Nakuru—Nairobi überquert und wandten sich nun in Richtung Bezirk 58. Und dann stießen sie am Bahnübergang
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