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Der gelbe Handschuh

Der gelbe Handschuh

Titel: Der gelbe Handschuh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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an der Reling und waren überwältigt. Sie hätten alle fünf einen Frosch im Hals gehabt, wenn sie jetzt etwas hätten sagen müssen.
    Fünf Minuten später war aus allen Decklautsprechern ein gedämpfter Gongschlag zu hören und dann eine Stimme:
    „Meine Damen und Herren, das Abendessen ist angerichtet.“
    Aber die beiden Berliner Familien blieben noch eine ganze Weile an der Reling und blickten hinauf aufs Meer und zu den Wellen, die vom Horizont herkamen.
    „Es ist fast zu schön, um wahr zu sein“, bemerkte Frau Finkbeiner schließlich, und dann hängte sie sich bei ihrem Mann und bei Peter ein. Auch Herr Wagner nahm seinen Jungen unter den Arm. So spazierten sie über die Treppe in den Lift und von dort zum Speisesaal.
    Der Page Axel Kannengießer stand in seiner roten Uniform an der breiten Tür aus Glas und brachte die Passagiere am ersten Abend zu ihren Plätzen.
    „Ich hoffe, Sie fühlen sich schon wie zu Hause“, sagte er höflich. „Darf ich Sie bitten, mir zu folgen.“
    „Du darfst“, grinste Ulli gnädig.
    „Sehr freundlich, Herr Kollege“, entgegnete der Page Kannengießer und trabte voraus.
    Der Saal war festlich erleuchtet. Musik spielte, auf den weißgedeckten Tischen brannten Kerzen, und der größte Teil der Passagiere hatte bereits Platz genommen. Die großen Fenster vibrierten leise, und die Stewards in ihren weißen Jacketts nahmen schon die ersten Bestellungen auf.
    Am Tisch mit der Nummer 82 blieb der Page Kannengießer stehen. Er rückte einen Sessel zur Seite und sagte zu Frau Finkbeiner. „Bitte sehr.“

    Und dann kam auch schon der Tischsteward angeflitzt. Er hatte Speisekarten unter dem Arm und stellte sich vor.
    „Ich heiße Rehbein und bin hier im Speisesaal für Sie zuständig.“ Er hatte rote Haare und eine Marzipanhaut.
    „Sehr erfreut“, sagte Frau Finkbeiner.
    „Guten Abend, Herr Rehbein“, grüßten die anderen.
    „Und ich habe auch gleich eine Überraschung für Sie“, verriet der Steward mit dem Namen Rehbein und sauste wieder los. Schon eine halbe Minute später stellte er zwei Flaschen Sekt und einen großen Blumenstrauß mitten auf den Tisch Nummer 82. Anschließend überreichte er Frau Finkbeiner einen Brief.
    „Das finde ich nun aber zauberhaft“, sagte die Frau des Apothekers, als sie den Brief geöffnet hatte, und las vor: „Das Kaufhaus des Westens wünscht Ihnen eine schöne Reise. Im Namen der Direktion, Ihr Bernhard Habernoll.“
    „Wirklich sehr aufmerksam“, bemerkte Herr Wagner.
    „Wir werden uns mit einer Ansichtskarte bedanken“, schlug Apotheker Finkbeiner vor.
    Dann gab es zuerst einmal Melone mit Schinken und anschließend Jumbo Shrimps à la Jambalaya.
    „Ich habe gar nicht gewußt, daß Fremdwörter so gut schmecken“, bemerkte Frau Finkbeiner. „Es scheint sich um Fisch zu handeln.“
    Die Tischstewards hatten jetzt Hochbetrieb. Sie wechselten Teller aus, trugen Reste ab, legten neue Bestecke auf, lächelten, empfahlen, zuckten die Achseln und flitzten im Gegenverkehr zwischen den Tischen, hin und her, verschwanden hinter den Flügeltüren zur Küche und kamen mit dunkelrotem Roastbeef oder glasiertem Fasan wieder zurück.
    „So zwischendurch sollte ich mich immer wieder mal in den Arm kneifen“, meinte Frau Finkbeiner und nahm sich noch ein wenig von der Geflügelkraftbrühe mit Eierstich. „Nur um sicher zu sein, daß ich nicht träume.“ Gleich darauf machte Ulli eine Entdeckung. „Da drüben“, flüsterte er. „Unser Schmetterling.“
    „Sieh mal einer an.“ Peter staunte und pfiff durch die Zähne. „Wie ein Mensch sich verändern kann.“
    Tatsächlich hatte sich der Knabe mit den vergammelten Blue jeans in einen enorm vornehmen jungen Mann verwandelt. Er steckte plötzlich in einem dunkelblauen Samtanzug und trug dazu ein weißes Seidenhemd, das wie Christbaumschmuck glitzerte. In einem Rollstuhl aus Metall schob er die ältere Dame vor sich her, die während der Omnibusfahrt durch New York neben ihm gesessen hatte.
    „Das ist Mrs. Fuller mit ihrem Neffen“, sagte Tischsteward Rehbein zur Erläuterung, weil er das besondere Interesse von Peter und Ulli bemerkt hatte.
    „Sie sind in jedem Jahr wenigstens einmal an Bord. Manchmal auch öfters.“
    „Und weshalb dürfen sie am Kapitänstisch sitzen?“ fragte Ulli. Der Junge in dem dunkelblauen Samtanzug schob den Rollstuhl mit seiner Tante inzwischen nämlich quer durch den Saal auf einen größeren Tisch zu, der am Kopfende vor einem großen Spiegel

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