Der gelbe Handschuh
man zollfrei einkaufen durfte.
Die vier Jungen tigerten inzwischen zum alten Hafen, in dem noch Frachtensegler lagen, die so aussahen, als kämen sie gerade von einer Piratenfahrt zurück. Große Neger schleppten Säcke und Kisten, andere lagen faul im Schatten und schoben sich Krabbenfleisch und Salatblätter mit den Fingern in den Mund.
Und da heute Markttag war, wimmelte es von Menschen zwischen den Körben mit Tintenfischen, Töpfen mit Mais und roten Bohnen, Guayanabas und Bananen, aufgeschnittener Ananas und lebenden Kolibris.
Zwei junge Mulatten rieben frische Krokodilhäute mit Viehsalz ein, damit sie bis zum Verkauf haltbar blieben. Jetzt richteten sie ihre nackten Oberkörper auf, weil Musik zu hören war. Sie wischten an ihren Hosen das Salz von den Händen ab und gingen langsam los. Im Gehen angelten sie sich Zigaretten aus den Hosentaschen.
Irgendwo hinter den Marktständen hielt eine Sekte ihren Gottesdienst ab.
„Da brennt es doch“, sagte Axel Kannengießer zuerst.
Aber dann entdeckten sie, daß der Qualm von einem halben hundert Räucherkerzen kam, die dicht nebeneinander auf den Stufen einer alten Steintreppe standen. Über ihnen und mitten in ihrem Dunst thronte ein ziemlich fetter Neger auf einem zinnoberroten Sessel.
Er war vielleicht vierzig Jahre alt und hatte sich mit Armbändern und Ketten behängt wie eine orientalische Bauchtänzerin. Auf dem Kopf trug er einen weißen Sombrero, so groß wie ein Wagenrad. Er hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen.
Eine gleichfalls dicke Negerin ging wie ein Tier im Käfig hin und her. Sie sang dabei, und ein paar Instrumente spielten dazu. Ab und zu kniete einer der Zuschauer auf die unterste Stufe, legte Geld zwischen die Räucherkerzen und durfte dann die herunterhängende Hand des dicken Mannes in dem zinnoberroten Sessel küssen.
„Das ist die Treppe zum Paradies“, sagte der Junge mit dem Bürstenhaarschnitt leise; er übersetzte den Gesang der Negerin. „Jede Räucherkerze und jedes Geldopfer bringt uns näher zu dir...“
Ulli Wagner hatte sich inzwischen mit seinem Fotoapparat an den Zuschauern vorbei nach vorne geschlichen. Als er zum ersten Mal knipste, wurden nur die beiden jungen Mulatten aufmerksam, die gerade ihre Krokodilhäute in Stich gelassen hatten. Sie blickten ärgerlich herüber, und der eine von ihnen gab mit der Hand zu verstehen, daß der Junge mit dem Fotoapparat ganz schnell zu verschwinden habe.
Aber der kleine Page aus dem Hotel Kempinski in Berlin tat so, als hätte er genau das Gegenteil verstanden.
Er lächelte, zwinkerte den beiden zu und schlich wie ein Indianer auf dem Kriegspfad unter einem Pferdekarren durch.
Anschließend klemmte er sich hinter eine alte Tonne, in der lauter lebende Fische durcheinanderschwappten. Er prüfte an seiner Kamera die Einstellung der Blende und der Entfernung. Dabei ließ er den schlafenden Fettwanst auf dem Zinnoberthron nicht aus den Augen. Und als jetzt wieder einmal einer aus der Versammlung vor den Räucherkerzen niederkniete und schließlich die Hand des Negers mit den vielen Ketten und Bändern küßte, schnellte Ulli Wagner hinter der Fischtonne hervor und schoß sein Blitzlicht ab.
Und das wirkte genauso, als ob er eine Bombe geworfen hätte.
Der fette Neger unter dem riesigen Sombrero riß seine Augen auf, entdeckte den Jungen mit dem Fotoapparat und sprang mit einem einzigen Satz in die Luft und brüllte wie ein Stier. Und weil er dabei jetzt so halb im Qualm der Räucherkerzen stand, wirkte er ein bißchen wie ein schlechter Schauspieler in einem Schmierentheater. Die ganze Versammlung tanzte und wirbelte durcheinander, als sei plötzlich ein Sack voll Flöhe explodiert. Fäuste flogen in die Luft. Schreie wurden ausgestoßen.
Und jetzt sprangen die zwei halbnackten Mulatten, die kurz zuvor noch ihre Krokodilhäute mit Viehsalz eingerieben hatten, auf einen Berg von Kisten, und von dort stürzten sie gleichzeitig auf den Berliner Hotelboy mit dem Fotoapparat. Kurz darauf hörte man lautes Hundegebell, dann ein tiefes Knurren, und schließlich stand eine riesige weißschwarz gefleckte Dogge auf der höchsten Stufe der Treppe zum Paradies.
Sie ließ ihre Augen blitzen, und dann sprang sie über die Lichter der Räucherkerzen hinweg direkt auf den Jungen namens Ulli Wagner, der inzwischen längst am Boden lag. Über ihm blieb sie stehen und zitterte am ganzen Leib wie ein Löwe vor dem Mittagessen.
Peter Finkbeiner stand zusammen mit dem
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