Der Geliebte der Königsbraut: Historischer Roman (German Edition)
die Dummheit wiedergutmachen konnte. Zurückkehren und sich Leovigild zu Füßen werfen? Und dann? Was erwartete ihn, wenn er mit seinen Befürchtungen doch recht hätte und ins offene Messer liefe? Schließlich entschied er sich dafür, erst einmal etwas herauszufinden.
Die Tür zur Kanzlei war nur angelehnt. Unbemerkt huschte er in einen großen Raum, der mit Tischen und Pulten ausgestatten war, an denen die Schreiber gewöhnlich ihrer Arbeit nachgingen. An den Wänden befanden sich vom Boden bis zur Decke reichende offene Regale für Urkunden und Sendschreiben. Auch ein paar Codices waren dabei, dickleibige Bücher mit Holzdeckeln, die mit aufwändigen Schlössern versehen waren.
Nur an einem der Tische arbeitete ein alter Mann mit tief gebeugtem Kopf, die Zunge zwischen die Zähne geklemmt. Wittiges hatte Zeit, sich umzuschauen, und brauchte nicht lange, sein Schreiben zu entdecken. Der Fleck war unverkennbar. Der Brief lag gleich auf dem ersten Tisch, zusammen mit einigen anderen Schreiben, die vermutlich ebenfalls noch registriert werden mussten. Wittiges rollte ihn auseinander und benutzte ein Tintenfässchen und eine Steinschale mit Löschsand, um das Pergament an beiden Enden zu beschweren. Nun konnte er lesen. Die Buchstaben verschwammen ein bisschen, während er sich bemühte, den Wortlaut möglichst schnell und leise zu entziffern. Aber das unvermeidliche Murmeln erreichte das Ohr des alten Mannes doch.
„Was willst du?“
Wittiges drehte den Kopf gerade so weit, dass er das Blatt mit der Botschaft noch sehen konnte. Jetzt musste er die Zeilen überfliegen. Da stand sein Name!
„Ehm“, räusperte er sich umständlich, um Zeit zu gewinnen.
Und nun muss ich dir noch mitteilen, dass der Stallmeister Wittiges, den ich dir als Bote nach Toledo schicke, einige Male in Raufhändel verwickelt war ...
„Nun?“ Der alte Mann lupfte den Hintern.
„Wann kann ich mit der Antwort auf Prinzessin Brunichilds Brief rechnen?“
„Du bist der Bote?“, fragte der Mann argwöhnisch.
Bitte sorge dafür, dass Wittiges ..., ging der Brief weiter.
Der Mann stand auf und kam näher. „Heb dich hinweg! Meinst du, ich bin zu alt, um zu merken, dass du deine neugierigen Augen auf Sachen richtest, die dich nichts angehen?“ Der Alte lachte meckernd, aber es klang nicht fröhlich, sondern eher schadenfroh. Als sich Wittiges umwandte, standen zwei grimmig wirkende Wachsoldaten vor ihm.
„Das ist er, oder?“, wandte sich der eine an seinen Kollegen und sprach dann Wittiges an: „Hast du das Schreiben an den König überbracht?“
„Ja, ja, das ist er!“, rief der Alte und rieb sich zufrieden die Hände. „Er hat es selbst gesagt. Schafft ihn weg, er spioniert nur herum und stellt dumme Fragen.“
In Windeseile fesselten die beiden Wachsoldaten Wittiges und zerrten ihn mit hinaus. Sein lauter Protest nutzte ihm nichts, sie stellten sich taub, führten ihn in den Keller des Palastes und stießen ihn dort in einen dunklen Verschlag. Seine Befürchtungen hatten ihn also nicht getrogen. Und jetzt hatte er Muße, gründlich über dies und jenes nachzudenken.
Worum hatte Brunichild ihren Vater gebeten? Vor allem diese Frage beschäftigte ihn, sobald er allein war. Kalt war ihm wenigstens nicht. Die Geräusche verrieten ihm, dass sich der Feuerraum der Hypokaustanlage des Palastes in der Nähe befinden musste. Ihm wurde geradezu heiß. Allerdings eher vor Wut und Enttäuschung als vor zu großer Wärme. Wie hatte Brunichild ihm das antun können? Sie hatte ihn verleumdet und sich damit auf hinterhältigste Art seiner entledigt. Wahrscheinlich hatte sie ihren Vater gebeten, ihn wegen angeblicher Untaten festzusetzen und zu bestrafen. Aber wie? Je länger er darüber nachdachte, desto besessener erging er sich in Vorstellungen von Folterungen und Verstümmelungen. Hatte Brunichild vorgeschlagen, einen Eunuchen aus ihm zu machen? War sie zu dieser Infamie fähig? Außer sich, musste er sich eingestehen, dass er ihr alles zutraute. Und weil er gerade dabei war, gab er ihr auch die Schuld für Alexanders Verschwinden. Dass dieser sich aus dem Staub gemacht hatte, um sein Glück woanders zu suchen, erschien ihm mittlerweile höchst unwahrscheinlich. Es passte nicht zu ihm, dafür war er viel zu ängstlich. Und Wittiges gestand sich ein, dass er den blöden Kerl vermisste.
Die erste Zeit im Kerker verbrachte Alexander noch voller Hoffnung, dann versank er in dumpfer Verzweiflung. Niemand sagte ihm, wie es mit ihm
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