Der Geliebte
ohne jede Hilfe. Von Peter hatte ich lediglich eine Telefonnummer. Auch von den anderen, die hier mit am Tisch saßen, kannte ich keine Adressen, obwohl sie doch alle presque famille waren. So viel zu unseren Sozialkontakten. Allmählich wurde mir klar, wie wichtig Peters Fest für uns sein würde. Eine Gelegenheit, neue Leute kennenzulernen. Ein Anknüpfungspunkt für unser zukünftiges soziales Netzwerk.
An der Schule war ich zwar schon vielen netten Leuten begegnet, aber es hatte uns noch niemand zu sich eingeladen, und solange wir hier nicht die Möglichkeit hatten, Gäste zu empfangen, konnte ich andere Eltern auch nicht fragen, ob sie nicht mal vorbeischauen wollten.
In den Niederlanden hatten wir immer zehn Leute zur Auswahl gehabt, wenn wir jemanden brauchten, der auf die Kinder aufpassen oder uns im Notfall schnell irgendwohin fahren sollte. Hier hatten wir noch keinen einzigen Abend zu zweit verbracht, geschweige denn, dass ich mal einen Tag für mich gehabt hätte. Unter der Woche stand mittags immer das Kochen an, und am Wochenende waren die Kinder zu Hause.
»So, das hätten wir geklärt«, sagte Eric hinter mir.
Er setzte sich wieder an den Tisch. »Du bringst mich heute Abend nach Bordeaux, Mérignac. Und Gerard holt mich in Amsterdam ab. Dann hast du hier das Auto. Gerard und Erica fahren Freitagmorgen hierher, dann bist du nicht allein.«
Ich sah ihn an. »Gerard und Erica?«
Erica war eine gute Freundin. Wir hatten schon in der Schule eine Menge Spaß zusammen gehabt und uns seither nicht aus den Augen verloren. Sie gehörte zu den wenigen Frauen in meinem Bekanntenkreis, die in fast schon brüskierender Weise ehrlich sein konnten. Sie sagte immer, was sie dachte, egal, wer ihr gegenüberstand, und diesen Charakterzug bewunderte ich enorm an ihr. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich sie, seit wir hier waren, nicht mehr angerufen hatte.
Eine feine Freundin war ich. Aus den Augen, aus dem Sinn.
»Du weißt doch, dass Gerard und Erica einen festen Standplatz in St. Hilaire haben, in diesem neuen Ferienpark?«, fragte Eric. »Erica hat ohne Zögern von sich aus angeboten herzukommen. Eigentlich wollten sie erst nächste Woche aufbrechen, aber da sie in den Niederlanden momentan sowieso vom Regen weggespült werden, fand sie es keine Strafe, früher zu kommen. Problem gelöst. Wenn du willst, nehmen sie dich auf den Campingplatz mit, dann bist du am Wochenende nicht allein. Sie kommen Freitagabend.«
15
Den ganzen Vormittag über war ich durcheinander gewesen. Hatte keine Ruhe gefunden. Ein paar Mal hatte ich Eric angerufen, sowohl gestern als auch heute, der mir erzählt hatte, dass seine Mutter wie ein Häufchen Elend im Krankenhaus unter ihrer Decke lag und kaum sprechen konnte. Ihre Augen waren ungetrübt, hatte er gesagt, aber sie redete wirres Zeug und schien sich darüber auch selbst im Klaren zu sein, denn sie war trotzig und böse. Der Pflegerin zufolge, mit der er gesprochen hatte, war das ein gutes Zeichen: Sie sei offenbar bereit, um ihre Gesundheit zu kämpfen. Jetzt müsse man abwarten, inwieweit ihr Körper sich wieder erholen würde.
Die Kartoffeln standen auf dem Feuer. Ich wusch Feldsalat und schnitt Cocktailtomaten hinein. Das Kochen, die Konzentration auf das Schneiden, Hacken und Schälen, beruhigte mich ein wenig. Das Schöne an ausgiebigem Kochen ist, dass man immer bei der Sache bleiben muss. Man kommt gar nicht dazu, an irgendetwas anderes zu denken oder zwischendurch schnell irgendetwas anderes zu tun. Für mich war Kochen genau das Richtige. Ich hatte schon seit Wochen keine Butter mehr zum Anbraten benutzt, sondern nur noch Olivenöl. Antoine, der eine Menge Ahnung von französischer Küche hatte, mich enorm ermutigte und mir immer wieder kleine Tipps gab, meinte, man könne etwa auf Höhe von Burgund eine Linie durch ganz Europa ziehen. Das sei die Buttergrenze. Oberhalb davon, also in Nordfrankreich, Belgien und den Niederlanden, benutzten die Leute zum Braten Butter; unterhalb davon Öl.
Die zwei Tage ohne Eric waren ziemlich ruhig verlaufen. Das Telefon hatte nur selten geklingelt. Die Jungs taten ihre Arbeit und ließen mich nach Möglichkeit in Ruhe. Michel schonte mich, er hielt mir morgens und abends die Wange hin, das war alles. Trotzdem setzte das Geküsse mir zu. Das unterschwellige Brodeln in meinem Innern hatte nicht aufgehört, sondern wurde lediglich von dem dumpfen Gefühl überlagert, dass ich jetzt alleine damit fertig werden musste, in
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