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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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wurden, wertvoller, glänzender, während unsere Körper sich in genau demselben Tempo in die andere Richtung entwickelten. Als müssten die neuen Sachen den Verfall kompensieren. Pflaster auf die Wunden der Vergänglichkeit.
    Fühlte ich mich darum so zu Michel hingezogen? War auch er etwas Neues und Glänzendes, eine Kompensation?
    Ich musste wirklich langsam aufhören, mich selbst verrückt zu machen. Ich sah noch einmal in den Spiegel, drehte mich ein Stück zur Seite und wieder zurück, ließ die Hände über meine Rippen, die Taille und die Hüften gleiten, zwang mich dazu, meinen Körper so zu sehen, wie ihn ein Mann sehen würde. Drückte meine Brüste nach oben. Natürlich, dieser Körper war keine achtzehn mehr, er hatte zwei Kinder zur Welt gebracht. Aber meine Haut glühte, und meine Brüste waren noch ziemlich in Ordnung. Ich hatte hübsche Rundungen, alles an mir war weich und voll.
    Reden, Simone, du wolltest mit ihm reden.
    Auf meinem Gesicht im Spiegel erschien schließlich ein Lächeln, an dem ich mich wärmte. Ich stieg in einen String, zog einen Spitzen-BH an und drehte mich vor dem Spiegel noch einmal um mich selbst. Dann entschied ich mich für einen langen Stufenrock aus dünner Baumwolle, ein enges Top und eine locker sitzende Bluse. Ging die Treppe hinunter in die Küche. Im Kühlschrank lagen Tortellini (nur eine Minute kochen, mit frischem Spinat und Mozzarella), die ich nach einem kurzen Blick auf die Packung wieder zurücklegte. Irgendwie hatte ich keinen Appetit. Ich trank ein Glas Orangensaft, nahm einen Apfel aus dem Gemüsefach und ging nach draußen.
    Bleu kam schwanzwedelnd hinter mir her, sein haariger Körper schmiegte sich an mich. Ich kraulte ihn hinter den Ohren und blieb kurz auf dem Hof stehen. Inzwischen war es schon dunkel, Viertel vor zehn. Was sollte ich tun? Hierbleiben, um Michel draußen zu »empfangen«? Die Aussicht, hier im Dunkeln auf der Treppe zu warten und in die Nacht hineinzuhorchen, fand ich nicht sehr verlockend.
    Würde er überhaupt kommen?
    Ich war restlos verunsichert. Zweifel nagten an mir.
    In der Ferne erklang der Ruf einer Eule. In den Bäumen raschelten die Blätter. Bleu spitzte die Ohren, drehte ruckartig den Kopf nach links und jaulte leise. Er konzentrierte sich auf irgendetwas weit Entferntes, verlor dann aber das Interesse.
    Jetzt war ich mir sicher. Ich würde nicht hier draußen warten. Mit dem hechelnden Bleu an meiner Seite, ging ich zum Wohnwagen.
    Was hatte ich mir da eigentlich eingebrockt? Heute Nachmittag, als ich Gerard, Erica und den Kindern zum Abschied gewinkt und die Sonne geschienen hatte, war mir alles ganz klar erschienen. Jetzt konnte ich das nicht mehr behaupten. Ganz und gar nicht.
    Michel war einer der schönsten Männer, die ich je gesehen hatte, auch im Vergleich mit sämtlichen Schauspielern und Sängern aus den Top 25 der schönsten Männer der Welt. Es gab rein gar nichts an ihm auszusetzen, all seine äußeren Eigenschaften befanden sich in perfekter Harmonie. Zugegeben, seine Zähne waren nicht ganz gerade. Aber sie waren weiß und gut gepflegt. Und seine Gesichtszüge waren im Grunde noch gar nichts gegen seinen unglaublichen, atemberaubenden Blick. Schon von unserem ersten Blickwechsel an war mir jedes logische Denken unmöglich gewesen.
    Was also wollte ich mir selbst weismachen?
    Aus dem im Mondschein bläulich glänzenden Wohnwagen fiel ein sanftes Licht. Bleu folgte mir auf dem Fuß, als ich hineinging.
    Ich räumte Schuhe von Isabelle und Bastian weg, sammelte selbst gemalte Bilder ein und legte sie auf einen Stapel mit Rechnungen und Zeitschriften. Rückte den Ständer von Erics Rasierapparat zurecht. Suchte Spielsachen zusammen und vergrub sie unter den Bettdecken der Kinder, sodass sie außer Sicht waren. Zehn Minuten lang beschäftigte ich mich selbst damit, irgendwelche Sachen hin und her zu räumen, nur um nicht nachdenken zu müssen. Bleu lief mir ständig vor die Füße. Auf den wenigen Quadratmetern, die wir hier hatten, war es freilich auch schwierig, nicht im Weg zu sein.
    Ich machte die Tür auf. » Où sont les souris? - Geh mal raus spielen, Mäuschen fangen!«
    Schwanzwedelnd lief Bleu hinaus, drehte sich noch einmal um, sah mich fröhlich an und verschwand dann mit der Nase am Boden in der Nacht.
    Ich machte das große Licht aus, sodass lediglich noch eine 15-Watt-Lampe über dem Spülbecken brannte. Löste das Handtuch, das ich immer noch als Turban auf dem Kopf trug, beugte mich vor und fuhr

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