Der Geliebte
mich an ihm fest. Seine Haut war vom Schweiß ganz glatt, und ich konnte seinen Herzschlag an meiner eigenen Brust spüren.
»Fantastisch«, flüsterte er.
Ich weinte und wusste selbst nicht, warum. Ich zitterte, fing an mit den Zähnen zu klappern, konnte nicht damit aufhören, konnte auch meine Tränen nicht zurückhalten, sie strömten mir über die Wangen, bis alles um mich herum verschwamm.
Michel sah es, erschrak, stützte sich auf dem Ellbogen ab und sah mich leicht erstaunt an. Strich mir das Haar aus dem Gesicht.
»Hab ich dir wehgetan?«
»Nein«, sagte eine Stimme, die nicht mir zu gehören schien, »nicht weh … nicht weh.«
Vor der Tür meiner Zelle liegt ein Pizzakarton. Rote und grüne Streifen auf weißer Pappe. Der Polizist hat ihn vor etwa einer Stunde für mich in der Stadt geholt. Sein Dienst sei jetzt zu Ende, hat er dazu gesagt, sein Kollege übernehme.
Ich starre die Packung und die halbe Pizza an, die darin liegen geblieben ist. Mehr habe ich nicht herunterbekommen.
Wie spät mag es sein? Zehn Uhr? Werden sie mich jetzt noch verhören?
Oder erst morgen? Übermorgen? Heute Nacht?
Ich kämpfe gegen die Panik an. Um Halt zu finden, mich auf etwas anderes zu konzentrieren, fange ich im Geiste an, meine Umgebung zu vermessen. Die Länge der Zelle: drei Meter. Die Breite: zwei Meter, vielleicht etwas weniger. Die Länge des Metallbetts, am Boden befestigt und mit einer dick eingestaubten dünnen Matratze versehen, die mich an die Gymnastikmatten aus der Grundschule erinnert: französische Maße, keine zwei Meter.
Erst jetzt begreife ich allmählich, wie sich Tiere im Zoo fühlen müssen, in diesen altmodischen Käfigen. Der Tiger, der immer wieder dieselben kleinen Runden dreht, aus seiner Umgebung herausgerissen und zu einem Objekt in einem Schaukasten reduziert, hinter Gittern.
Ich schiele zu dem Pizzakarton hinüber. Auch hier werfen sie einem Futter zu. Ich habe zu essen, zu trinken, ein Bett. Und zugleich habe ich überhaupt nichts.
Wie lange wollen sie mich hier im Ungewissen lassen? Ist das Absicht? Wollen sie mir Angst machen, mich isolieren, mich meinen eigenen Gedanken überlassen, Stunde um Stunde, damit ich dankbar bin, wenn endlich jemand mit mir redet, damit ich dann alles auf den Tisch lege? Alles was ich weiß, alles was ich getan habe?
17
Ich öffnete die Augen. Durch die rauchig braunen Fenster des Wohnwagens fiel sanftes Licht. Den Arm hatte ich über Michel gelegt, der sich quer im Bett ausgestreckt hatte und fast die gesamte Matratze in Beschlag nahm, während er tief und ruhig atmete. Ich betrachtete ihn, ganz aus der Nähe, im gefilterten Morgenlicht. Seine geschlossenen Augen, seine Wimpern, seine Nase, die, wie mir jetzt auffiel, ein bisschen zu groß geraten war. Ein dünner Schatten von Barthaaren lag auf seinem Kinn und den Wangen. Unwillkürlich glitt meine Hand über seine Brust, zu den Haaren bei seinem Nabel, die sich von dort zu seinem entspannt daliegenden Geschlecht hinabzogen. Ich presste die Lippen auf seine Haut, kuschelte mich an ihn, seufzte. Er murmelte etwas im Schlaf und legte ein Bein über mich. Ich konnte mich nicht erinnern, je so entspannt gewesen zu sein.
Meine Hand suchte seinen Hals, mein Mund fand ganz von selbst den seinen. Langsam wurde ich wieder erregt. Mit schlaftrunkenem Lächeln zog er einen Mundwinkel hoch, wühlte mir geistesabwesend durchs Haar und schlief weiter.
Kratzen an der Tür. Ein Fiepen, ein leises Jaulen. Bleu.
Vorsichtig wand ich mich unter Michels Körper hervor und stand auf, um die Tür zu öffnen. Der arme Hund war die ganze Nacht draußen gewesen. Während Bleu mit heftigem Schwanzwedeln um meine Beine strich und seine feuchte Nase gegen meine Hand stupste, warf ich noch einen Blick auf Michel, um mir sein Bild gut einzuprägen. Er sah wirklich posterreif aus, wie er dalag. Dann zog ich mir rasch ein T-Shirt und einen Rock an und lief barfuß zum Haus hinüber. Draußen war es frisch, kälter als gestern. Das Gras und das Unkraut kitzelten mich an den Füßen. Die Sonne blieb hinter einer dicken Wolkenschicht verborgen.
Genau richtig, um den ganzen Tag im Bett zu bleiben.
Das Telefon klingelte. Ich stürzte ins Haus, Bleu auf den Fersen.
»Ja, hallo, hier ist Simone.«
»Mein Gott, Simone, wo warst du denn? Ich versuche schon den ganzen Vormittag, dich zu erreichen.«
Eric klang unruhig und verärgert, und das Unheimliche war, dass es mir vorkam, als hörte ich seine Stimme zum ersten Mal.
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