Der Geliebte
er hinaus? Beklagte er sich jetzt über den Stundenlohn? Er hatte den Preis schließlich selbst vorgeschlagen.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Und den Huren, was hat dein Mann seinen Huren bezahlt? Auch fünfzehn Euro?«
Ich erschrak über seinen Tonfall. Über das Wort Huren, über die plötzliche Härte. Eric war nie zu Prostituierten gegangen. Niemals.
»Eric war nie bei einer Hure«, sagte ich, und zu meiner eigenen Verärgerung klang meine Stimme fiepsig und schrill.
Peter warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Bist du dir da sicher, Simone? Du selbst führst doch auch ein nettes kleines Doppelleben, oder? Presque française … «
Ich verhakte die Finger im Schoß. Sie waren feucht.
»Na ja«, fuhr er fort, »sagen wir mal: Huren sind ein bisschen teurer als fünfzehn Euro pro Stunde. Und männliche Huren … ich schätze mal, die können, wenn sie gut sind, wenn es keine Klagen gibt, gut und gerne ihre zweihundert verdienen. Mangelware eben, wenig Angebot, viel Nachfrage.« Er sah mich ungerührt an. »Ein ziemlicher Unterschied, was? Fünfzehn gegen zweihundert.«
Es verschlug mir die Sprache.
»Er ist gut, oder?« Peter setzte sich in den Sessel mir gegenüber und fixierte mich. »Unser Deckhengst.«
Ich falle.
Zehn Meter, zwanzig, hundert. Ich bin in einen wilden Strudel geraten, der mich mitreißt, mich hinunterzieht, mit unsichtbarer Kraft, immer tiefer und schneller, durch einen schwarzen Tunnel, an dessen Ende kein Licht kommt. Bis zum Aufprall. Bloße, pure Scham.
»Also alles nach Wunsch und keine Klagen, wenn ich das richtig sehe.« Peter kippte den restlichen Whisky in einem Zug hinunter und stellte das Glas geräuschvoll auf dem Tisch ab. »Gut, dann kommen wir jetzt zum Geschäftlichen.« Seine Augen funkelten im Halbdunkel. »Du gibst mir jede Woche zweihundertfünfzig Euro. Dann bleibt deine hübsche, kleine verlogene Welt heil. Ein Schnäppchen, würde ich sagen.«
Ich brachte kein Wort mehr heraus. Ich wollte hier weg, wollte schreien, mich auf ihn stürzen, kreischen, aber ich blieb sitzen. Kalte Schauder liefen mir den Rücken hinunter.
»Michel bekommst du vorläufig nicht mehr zu Gesicht«, fuhr er fort. »Ich brauche ihn jetzt erst mal eine Weile auf einer anderen ›Baustelle‹.« Bei dem letzten Wort malte er imaginäre Anführungszeichen in die Luft.
Dann erhob er sich. »Ich werf dich jetzt raus, Mutter Teresa. Jeden Montag, bis auf Weiteres. Zweihundertfünfzig Euro. Du bist ein kluges Mädchen, also brauche ich dir nicht groß zu erklären, was passiert, wenn die Kohle nicht rüberkommt.«
Ich stand auf. Verwirrt folgte ich ihm in die Diele, wo er mir die Tür aufhielt. Beim Hinaustreten sah ich ihm kurz in die Augen.
Sein Blick war hart wie Stahl, völlig gefühlskalt.
Auf dem Rückweg bekam ich von der Umgebung nichts mit, ich lenkte den Wagen geistesabwesend und mechanisch. Schließlich hielt ich bei einem Parkplatz, weil es verantwortungslos war, in meinem Zustand weiterzufahren. Ich starrte vor mich hin, unfähig zu weinen. Dachte an Isabelle und Bastian, an den Mut, den es sie gekostet hatte und noch immer kostete, sich hier einzugewöhnen. An den Stolz in ihren Gesichtern, wenn sie die französischen Wörter richtig aussprachen, an ihre verhaltenen Versuche, dieses Land als ihre neue Heimat zu akzeptieren. An die Offenheit, mit der sie sich den Arbeitern - »Papas Freunden« - angenähert hatten, die ganz neue soziale Bezugspunkte für sie waren, und an die Begeisterung, mit der sie Peter immer begrüßt hatten.
Aber das Schlimmste war, dass noch jemand anders mit im Spiel war. Außer Peter.
Ich ließ den Kopf in die Hände sinken. Ich musste allein mit dieser Sache fertig werden. Ganz und gar allein.
Innerlich kämpfte ich gegen den Impuls an, von hier wegzufahren, zurück in die Niederlande, wo ich außer Reichweite von Peters monströsen Tentakeln wäre. Plötzlich kamen mir die Tränen. Während ich vergeblich im Handschuhfach nach einem Taschentuch suchte, um mir die Nase zu putzen, wurde mir klar, dass ich genau darauf drängen musste. Es war die einzige Möglichkeit.
Wir mussten hier weg.
31
In einem touristischen kleinen Dorf am Fluss, keine zwanzig Autominuten von unserem Haus entfernt, war jeden Montagmorgen Markt. Es gab Stände mit Fleisch, Gemüse, Käse und Fisch, aber auch mit Kleidung, Keramik, Schmuck und afrikanischen Masken. Sie standen dicht gedrängt auf dem Platz und in den beiden Straßen, die von ihm
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