Der Geliebte
abgingen. Ich hatte auch schon einen irischen Bierbrauer und einen Imkerstand mit Honig und Kerzen entdeckt.
Es war nicht schwer vorstellbar, dass es hier im Sommer von Touristen nur so wimmelte, mit denen man dann im Gleichschritt in einer langen Schlange vorwärtsschlurfte. Jetzt war es ziemlich ruhig.
Es war ein bemerkenswert sanfter Novembermorgen. In ein paar Straßencafés hatten die Leute ihre Jacken aufgeknöpft und tranken Kaffee.
Ich ging quer über den Markt zu einer Filiale der Crédit Agricole und steckte meine Karte in den Geldautomaten. Beim Eintippen der Geheimzahl überkamen mich Zweifel.
Zweihundertfünfzig Euro waren viel Geld.
Ich beruhigte mich mit dem Wissen, dass im Moment so viel für Lohnkosten und Baumaterial von unserem Konto abging, dass Eric solche Beträge vielleicht nicht einmal auffielen. Wir bekamen Rechnungen über fünfhundert Euro, über tausendeinhundert, tausendachthundert …
Vielleicht hob ich besser etwas mehr ab. Wenn der Betrag jeden Monat gleich blieb, fiel das auf den Auszügen mehr auf als verschiedene über einen Monat verteilte Beträge.
Ich hob dreihundert Euro ab und steckte die Scheine im Portemonnaie in ein Extrafach.
Ab sofort durfte ich nicht mehr so viel Geld im Supermarkt ausgeben, nicht mehr so viele Geschenke für die Kinder kaufen und erst recht nichts mehr für mich selbst anschaffen.
Den Marktplatz im Rücken, ging ich zwischen weiteren Ständen Richtung Parkplatz zurück, als ich hinter einer der Auslagen eine Frau bemerkte, die mir vage bekannt vorkam. Blond, etwa fünfzig Jahre alt. Sie sah adrett aus, gebräunt und geschminkt, und trug einen modernen Bodywarmer. Als ich an dem Stand vorbeiging, sah sie mir direkt ins Gesicht, und an ihrem Blick las ich ab, dass sie mich erkannt hatte. Im selben Augenblick fiel es mir auch wieder ein: Es war die Frau aus Amsterdam, mit der ich kurz auf Peters Fest gesprochen hatte. Ihren Namen hatte ich vergessen, wie fast alle Namen meiner neuen Bekanntschaften jenes Abends.
»Ach nein!«, rief sie und zwängte sich hinter ihrem Stand hervor, um mich zu begrüßen. »Du bist doch Simone, oder?«
Schafsköpfig nickte ich. Ihr Name war mir immer noch nicht wieder eingefallen.
»Ich bin Lucy, erinnerst du dich? Wir haben uns bei Peter und Claudia kurz unterhalten. Weißt du, mit wem ich hier gerade noch geschwätzt habe? Mit Rita, die ist hier auch irgendwo.« Sie ließ den Blick über die vielen Köpfe hinwegschweifen. »Sie ist wahrscheinlich einen Kaffee trinken gegangen. Jack ist auch hier, der sitzt immer am Marktplatz im Café de Paris, gegenüber von der Bank.«
»Jack?«, fragte ich. Die Situation war mir unangenehm.
»Mein Mann.«
»Ach ja, natürlich.«
»Weißt du was?«, fragte Lucy und fasste mich am Unterarm, als fürchtete sie, ich könnte mich aus dem Staub machen, während sie auf den Zehen wippte, über die Köpfe der Passanten hinwegschaute und jemandem hinter einem Stand gegenüber lebhaft zuwinkte. »Wir gehen zusammen einen Kaffee trinken. Vielleicht ist Rita auch noch da. Es ist so schön mild heute.«
Ich war total überrumpelt.
Eine Französin löste Lucy hinter ihrem holländischen Käsestand ab, und wir gingen zum Marktplatz zurück, wo ich gerade hergekommen war.
Das Café de Paris war schlicht gehalten, mit gefliestem Boden. Ein paar Leute, hauptsächlich Männer, lasen schweigend ihre Zeitung - die Sud Ouest - und tranken Kaffee. An der Bar nahmen zwei ältere Männer ein Getränk zu sich, bei dem es sich kaum um etwas anderes als starken Alkohol handeln konnte, Pastis. Beide trugen Wollpullover, einer der beiden hatte eine schmierige Mütze auf. Hauptsächlich bestand die Kundschaft allerdings aus Marktbesuchern, die an den Tischen saßen und sich angeregt unterhielten. Es war heiß, und der Raum war erfüllt von Stimmengewirr, das zwischen den kahlen weißen Wänden widerhallte.
Lucy lotste mich zu einem der kleinen braunen Tische. Rita erkannte ich auf Anhieb wieder. Ich wusste noch, dass sie um die Augen stark geschminkt und mit einer Menge klimpernden Goldschmucks behängt gewesen war. Den Schmuck trug sie auch heute, aber das Make-up fehlte.
Lucy besorgte einen zusätzlichen Stuhl, den sie ans Kopfende des Tisches stellte. »Setz dich doch, Mädel.« An den älteren Mann gewandt, der damit beschäftigt war, ein Stück Gebäck zu zerkrümeln, ratterte sie in einem Atemzug herunter: »Jack, das ist Simone, Peter arbeitet jetzt bei ihnen, sie war auch bei dem Fest von
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