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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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nicht. Und seinen Freunden nicht.
    Später hatte man ihn gefunden, völlig verstört. Man brachte ihn ins Krankenhaus. Dort holte ihn die Mutter ab. Sie erfuhr, dass Jacob in die Felsspalte gefallen war, dass der Vater beim Versuch, ihn zu retten, zu Tode gestürzt war und dass auch Jacob das Unglück nicht überlebt hatte.
    Das war’s. Das war Emils grauenvolles Geheimnis.
    Niemand wusste es. Niemand. Auch nicht seine Mutter. Please love my son. He is a wonderful boy with great feelings for his familiy. He had a very bad time before leaving Southafrica.
    Und ich, ich hatte ihn bei seiner Ankunft als Erstes von einem Kran springen lassen. Fünfzig Meter tief. Damit er nicht mehr weinte.
    An diesem Abend schlich ich mich in den Garten hinaus.
    Katinka und die Jungen schliefen. Emil stand mit dem Kinderwagen auf der Wiese und sah zu den schwarzen Konturen der Berge hinüber. Mechanisch schob er den Kinderwagen hin und her, obwohl das Paulinchen längst ruhig war. Der Kinderwagen gab leise Klagelaute von sich. In der Ferne hörte man die Maggia rauschen. Ab und zu fuhr ein Auto über die schmale Straße, die ins Centovalli hinaufführte. Sonst war alles still. Der Mond lugte hin und wieder als schmale Sichel über dem Schatten des Waldrandes hervor. Doch zarte Wolken verhüllten den Himmel. Es war ein sehr milder Abend. Kein Wind regte sich.
    Sollte ich mich einfach schweigend in mein Zimmer zurückziehen? Nach dem, was heute passiert war? Emil war für mich ein völlig neuer Mensch geworden. Wir waren uns viele hundert Meter näher gekommen. Obwohl sowieso nur noch drei Zentimeter zwischen uns gewesen waren.
    Wenn man mich jetzt sehen könnte, dachte ich. Überhaupt: diese Szene! Da steht der Boy um Mitternacht im Garten, dreht mir seinen muskulösen Rücken zu, der genauso glänzt wie die reifen Beeren am Brombeergesträuch im Licht der Gartenlaterne, und die laue Nachtluft duftet. Und du, alte Schabracke, Mutterersatz und einziger Mensch, dem sich der Junge anvertraut hat, schleichst dich von hinten an ihn ran. Was soll denn das jetzt? Unmöglich.
    – Ich will ihm doch nur gute Nacht sagen. Nach dem, was heute war. Ich kann ihn doch jetzt nicht so stehen lassen. Dieser Liebe schöne Glut. Laß sie nicht verstieben.
    – Dann sag ihm gute Nacht. Los. Ruf es. Halblaut, damit du die Kinder nicht weckst. Ruf anständig gute Nacht, und zieh dich in dein Schlafgemach zurück.
    – Nein. Nicht heute. Nicht nach diesem außergewöhnlichen Tag. Nicht nach dem, was Emil mir heute anvertraut hat. Nimmer wird wie ich so treu, dich ein andrer lieben.
    – Dann geh hin, streich ihm meinetwegen noch über den Kopf, sei mütterlich, hörst du? MÜTTERLICH! Und dann könntest du, bitte schön, ins Bett gehen, wie du das immer machst. Denk dran, du fastest, du musst innerlich zur Ruhe kommen, du bist heute an deine Grenzen gestoßen, nimm dir deinen Heublumensack und dann ab.
    – Aber ich werde nicht schlafen können. Und er auch nicht.
    – Abgang, Karla! Los, schnapp dir dein Paulinchen, sag artig gute Nacht und mach die Terrassentür hinter dir zu.
    Emil stand immer noch mit dem Rücken zu mir. Weiche Gräser im Revier, schöne, stille Plätzchen.
    Hörte er mich, oder hörte er mich nicht? Er spürte mich. Er musste mich spüren! O wie linde, o wie linde … Warum stand er da?! Er wartete doch wohl auf mich! Er könnte sich ja anstandshalber mal umdrehen. Das macht man, wenn mütterliche Freundinnen zum Gutenachtsagen kommen.
    Ich machte ein paar Schritte auf ihn zu. Bitte, Emil, dreh dich jetzt um, hilf mir über die Schwelle, mir fällt mein Stichwort nicht ein, alles, was ich jetzt sage oder mache, ist verkehrt. Ich bin zwar zwanzig Jahre klüger als du, aber auch zwanzig Jahre hilfloser. Und Situationen wie diese sind nicht das, was in den Benimmregeln steht, die ich ansonsten recht gut beherrsche. Auch steht hier niemand in der Gasse und negert mir irgendwas. Keiner winkt und macht mir Zeichen, in welche Kamera ich gucken und wohin ich gehen soll. Nach welchen Regeln sollen wir denn nun weitermachen?
    – Boh, ey, Mama! Alte Spießerin! Nach dem, was heute Nachmittag passiert ist, gelten wohl keine Regeln mehr. Keine. So was steht in keinem Drehbuch.
    Ich schlich zwei weitere Schritte vorwärts.
    – Er sieht aus wie eine griechische Statue. Karla, wenn du zwanzig wärst, dann könntest du jetzt mit ihm was anfangen. Aber als du zwanzig warst, hast du solche Jünglinge nicht im Geringsten zu schätzen gewusst.
    – Solche

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