Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
noch einmal! War das verboten? Ich weiß nicht, warum ich plötzlich diesen Drang verspürte. Sicher war das ganz und gar unschicklich. Vierzigjährige Vierfachmütter haben in Discos nichts verloren, hörte ich Marga Siever und die anderen bösen Briefeschreiberinnen beckmessern. Frau Stein, widmen Sie sich Ihrer zahlreichen Familie.
Aber die herz- und hirnlose Muderatorin bäumte sich auf wie ein Fisch, der schon längst im Netz zappelt und noch einmal verzweifelt um Atem ringt, ohne Hoffnung, jemals wieder in sein altes Element zurückzugelangen.
»Ich fahr euch«, hörte ich mich mechanisch wiederholen. »Und dann schau ich auch noch mal rein in den alten Laden.«
Die gestylte Melanie, die nun endlich die Treppe hinunterkam, guckte mich mitleidig an.
Emil guckte ausdruckslos vor sich hin.
Wir stiegen ein in meinen Familienbus, Emil und Melanie quetschten sich neben die Babysitze nach hinten.
Es interessierte mich BRENNEND, was da so abging. Ich fühlte mich jung, schlank, leicht, ich wollte privat sein, ich wollte tanzen, und zwar nicht nach Oda-Gesines Pfeife, aufgebrezelt und künstlich und girliemäßig, sondern wie ICH war, wie ich mich fühlte, ich wollte mich austoben, wie ich das früher immer getan hatte.
Und natürlich wollte ich einfach mal gucken, wie Emil und Melanie sich so amüsierten. Falls sie das überhaupt taten. Gestern waren sie ja wohl nicht so gut in Stimmung gekommen.
EINMAL noch wollte ich dabeisein, bevor sich endgültig der Sargdeckel über mir schloss.
Wir betraten die Disco. Ich hatte Herzklopfen, ob man mich überhaupt hineinlassen würde.
Nicht, dass so ein Bulle von tätowiertem, glatzköpfigem Türsteher »Geh nach Hause, Mutti!« zu mir sagte!
Aber nein. Kein Mensch schenkte mir Beachtung. Schon standen wir auf der Tanzfläche, Melanie im Spaghettiträgerhemdchen über gepierctem Nabel und mit engen Polyesterhosen über Plateauschuhen, Emil im Sweatshirt mit Kappe und Jeans und Turnschuhen und ich mit meinem Clownskostüm. Viele von den Rumspringern und Rumstehern und Bierglashaltern waren verkleidet. Eigentlich fiel ich tatsächlich nicht weiter auf.
»Was wollt ihr trinken?«, schrie ich gegen den Lärm an.
»Cola!«, riefen die Kinder.
Ich selbst schüttete meine Selbstzweifel mit einem Kölsch herunter. So. Das wäre doch gelacht. Mama ist noch nicht scheintot. Ich fühlte mich großartig.
Wir hopsten so zwanglos auf der Tanzfläche herum, wie es eben ging. Ich hatte Rhythmus im Blut, jawoll! Und ich konnte alle Lieder mitsingen. Das konnten die zwei aus Südafrika und München natürlich nicht.
Emil und Melanie fassten sich zu meiner Erleichterung mitnichten an. Aha, dachte ich. Zumindest am Tanzverhalten der Jungmenschen hat sich nichts geändert. Man hampelt so vor sich hin. Gut ist, wenn man den Text mitgrölt. Das fiel mir leicht.
»Män-ner sind Schwei-ne!«, schrie ich aus Leibeskräften, weil das alle taten und weil ich das Lied richtig gut fand. »Frage nicht nach Son-nen-schein! Sie wollen alle nur das ei-ne!« Ach, was war das doch befreiend. Ich tanzte und sprang, ich hüpfte und hopste, mehrere Typen lachten mich an und tanzten um mich rum, na bitte, dachte ich, du hast noch alle Chancen. Kaum bist du aus dieser blöden »Wört-Flört«-Gouvernantenrolle raus, da nimmt man dich wieder als Mensch wahr, als Frau, als junge, lebensfrohe Frau womöglich! Ein Stefan und ein Daniel und ein Holländer namens Huub luden mich nacheinander auf einen Drink ein. Ich lachte und scherzte, und als sowohl der Stefan als auch der Daniel als auch der Holländer namens Huub mich anschrien, ich käme ihnen bekannt vor, schrie ich zurück, dass meine ältere Schwester die »Wört-Flört-Moderatorin« sei, und da schrien sie lachend, dass ich doch, selbst mit der roten Clownsnase im Gesicht, um Klassen besser aussähe als meine dicke, alte, biedere Schwester, und warum ICH das nicht moderierte!? Ich lachte geschmeichelt und prostete ihnen zu.
»Warum entlässt die nicht ihre Friseuse?«, schrie Stefan, und Daniel schrie: »Warum zieht die immer die Klamotten von ihrer Omma an?« Ich schrie ihnen zu: »Ich werd’s ihr ausrichten!« und sprang wieder auf die Tanzfläche zurück. Oh, wie tat das gut, so wild zu springen und zu hopsen! Ich fühlte mich wie Karl und Oskar, wenn sie auf meinem Bett herumtobten. Au ja! Noch MAAL! Das Männer-sind-Schweine-Lied war zu Ende. Ein neuer Hit dröhnte aus den Boxen. »Er gehört zu mir wie mein Naaame an der Tür!« O ja! Auch
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