Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
das konnte ich mitschreien, wie alle das hier taten. Nur Emil, der konnte den Text nicht. Er tänzelte ein bisschen vor sich hin, aber ich merkte, dass er sich nicht besonders wohl fühlte. Warum nicht, Junge? Hier ist was lo-hos! Melanie warf mir ein paar mitleidige Blicke zu. Die Kleine ist voll unsicher, dachte ich so vor mich hin. Dann grölte ich um so lauter: »Er gehört zu mir …« Melanie bewegte immerhin auch die Lippen. Ich tobte und sprang, sie tänzelte von einem Plateauschühchen auf das Andere. Ach, was war es befreiend! Ich hatte lange nicht mehr so laut geschrien! Hier durfte man sich endlich austoben, auslassen, ausleben. Das ist ein Flöten und Geigen, Trompeten schmettern darein, Trompeten schmettern darein. Das ist ein Klingen und Dröhnen, ein Pauken und ein Schalmei’n.
Es folgte eine Polonaise. Wir reihten uns alle hintereinander und zogen singend und grölend durch den Saal. »Die Karawaaane zieht weiter, der Sultan hätt Dorsch!«
Irgendein Spaßvogel, der vorne ging, hatte die Idee, die lebensfrohe Sangesschlange über die Bar zu führen. Hei, was ein Spaß! Na, das war doch was für mich! Leichtfüßig kletterte ich in meinen Turnschuhen über einen Barhocker und swingte schon auf der Bar herum! Ein paar Gläser gingen zu Bruch. Halleluja, was ein Spaß! Wir nahmen uns alle in den Arm und schunkelten: »In un-serm Vee-he-del …« Ach, was waren alle Sorgen weit! »Wie soll dat nur wiggerjon …«
Ich gehörte dazu, hurra, es war keine Frage des Alters, es war eine Frage des Gefühls. Man ist so alt, wie man sich fühlt. Jawoll! Und ich fühlte mich keinen Tag älter als Melanie. Nur reifer. Und sicherer. Und erfahrener. »Denn heee … hält man zusamme … ejahl, wat och passeet …« Tja, da konnte Melanie gar nicht mitsingen und Emil natürlich auch nicht, aber ich, ich war ein voll angesagter Insider! Wir schunkelten auf der Bar herum, rechts ein schwitzender Pullover und links ein grölendes Tattoo, und keiner fragte mich, »Ey, Alte, was willst du denn hier?«, und dann kam noch langsamere Musik, und es wurde schummrig, und dann kletterten wir von der Bar, und dann bildeten sich Paare.
Ich wollte mit keinem grölenden Tattoo und keinem schwitzenden Pullover tanzen. Ich stand da in einem dunklen Eckchen und schaute auf Melanie und Emil. Jetzt tanzten sie zusammen. Ziemlich eng. Sie knutschten nicht. O nein. Sie sahen nur gut zusammen aus. Sonst nichts. Aber plötzlich schnappte ich mir diesen Holländer namens Huub. Wir tanzten eng. Und wie eng wir tanzten! Huub erzählte mir, er sei Busunternehmer aus Amschterdam, und ich lachte und sagte, in Amschterdam sei doch ein tolles Erotik-Museum, und dann hatte er auch schon einen Ständer. Na bitte! So schnell ging das! Wir tanzten, und er summte falsch in mein Ohr und sagte, ich sei eine phantastische Frau und ob er mich Wiedersehen könne, und fing an, seine Hände auf mir herumwandern zu lassen.
Emil sah zu uns herüber. Nein. Keine Spielchen. Nicht mit Emil. Nur raus hier. Raus. Nach Hause. Zu meinen Kindern. Ins Bett. Wie konnte ich nur. Ich schämte mich so. Ich knallte einen Fünfziger auf den Tresen, schlängelte mich zum Ausgang und rannte zum Auto. Vier Kölsch hatte ich getrunken. Mindestens. Egal. Längst abgetanzt. Ich raste wie von Furien gehetzt nach Hause. Was hatte ich getan? Warum hatte ich mir das angetan? Was hatte ich gewollt? Mich mit Melanie messen? Hatte Senta womöglich recht? Immer noch dröhnte die Musik in meinen Ohren. Das ist ein Flöten und Geigen, Trompeten schmettern darein, da tanzt wohl den Hochzeitsreigen, der Herzallerliebste mein …
Zu Hause. Endlich. Nur schnell rauf und ins Bett. Jetzt nicht mehr nachdenken. Verschieben wir es auf morgen.
Die nimmersatte Oda-Gesine war immer noch nicht zufrieden. »Einschaltquote im grünen Bereich, aber noch nicht grün genug«, sagte sie zur Begrüßung. »Marktanteile bei 20 Prozent. Wir nehmen jetzt die 21 in Angriff! Der Schiffsarzt hatte 20,5. Wir müssen ihn toppen, wir müssen!«
»Tja.« Ich hob bedauernd die Arme. »Was soll ich machen?«
»Wir könnten die Ösis noch anspitzen.«
»Die Wer?«
»Na, die Österreicher. Du solltest dringend beim ORF mal deine Nase reinhalten.«
»Welchen Vorschlag hättest du diesmal?«
»’ne reine Sympathieträger-Nummer. Die Ösis machen vor Ostern immer eine Promi-Playbackshow. Kommt riesig an. Das hat Einschaltquoten wie bei uns nur ›Wetten dass‹. Ist Kult. Musst du unbedingt machen.«
»Wen soll
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