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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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mich auf das vordere freie Stühlchen fallen. Der Dirigent eilte in den Orchestergraben und ließ die Musiker aufstehen.
    Beifall erscholl.
    Der Opernfreund in der Loge ließ das Programmheft sinken.
    »Dahinten hat jemand Mundgeruch«, flüsterte ich dem erschrockenen Manne zu.
    In dem Moment ging der Vorhang auf.
    Ich kannte den »Rosenkavalier«. Aber nie hatte ich die Oper so persönlich genommen wie heute. Das war ja MEINE Geschichte! Ein Paar erwachte nach einer Liebesnacht. Die Marschallin Marie Theres von Werdenberg – ich! – war gut zwanzig Jahre älter als ihr stürmischer jugendlicher Geliebter Octavian – Emil. Sie, eine reife Frau, in deren Bann der naive Jüngling stand, machte sich ein bisschen Sorgen, ob der Gatte sie nicht am Ende überraschen würde. Doch nein. Da polterte ein dicker, schwitzender und ungehobelter Kerl namens Baron Ochs von Lerchenau herein – Oda-Gesine? Er kaute zwar keine Nougatriegel, aber er sah so aus, als hätte er sein Leben lang welche gekaut.
    Die Feldmarschallin versteckte den verschreckten Lustknaben schnell im Schrank, um sich nicht vor Ochs – Oda-Gesine – zu blamieren. Kurz drauf kam Octavian, der junge Liebhaber, als goldiges Madel verkleidet aus dem Kasterl. Ich sah Emil mit der Schleife um den Hals und der Blume im Mund auf dem Glastisch liegen. Ochs – Oda-Gesine – war begääistert und verliebte sich in das schöne Kind. Die Marschallin war plötzlich betrübt über ihr Alter. Wie alle Frauen, die in einer seelischen Krise stecken, begab sie sich zu ihrem Friseur – Sascha –, wo sie eine tiefe Melancholie überkam. Kinder, nein, was konnte ich diese Marschallin verstehen! Mich überzog eine Gänsehaut nach der anderen, während sie sich ihrem Friseur offenbarte: »Mein lieber Hippolyt, heut hat er ein altes Weib aus mir gemacht.« Fassungslos saß ich da, wie festgeklebt auf meinem Logenstuhl.
    »Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding«, sang die Marschallin, und mir liefen die Tränen der Überwältigung aus den Augen. Ja, Marschallin, da sagst du was. Gestern war ich doch noch ein junger Hüpfer, eine Studentin, gestern hab ich noch ganz selbstverständlich so Sachen gemacht, wie mich in die Oper zu schleichen. Gestern hätte ich auch noch mit dem Typ in der Loge ein nettes Geplänkel angefangen. Heute bin ich dafür zu müde. Der Typ interessiert mich nicht. Die Zeit ist ein sonderbar Ding. Sie ist mir viel zu schade, um sie mit oberflächlichem Geplänkel zu vertändeln.
    Ja, wirklich, Karla Stein? Und warum ziehst du nicht endlich die Konsequenzen daraus?
    Ach, Senta, dachte ich. Geh doch jetzt weg hier.
    Ich zog ein paar Mal unauffällig die Nase hoch. Der Mann hinter mir reichte mir aufmerksamerweise ein Taschentuch. Nun hatte ich zwei, das von Jo und das von dem Logensitzer. Die Marschallin prophezeite ihrem Emil – Verzeihung – Octavian, dass er sie bald verlassen würde, »um einer Anderen willen, die jünger und schöner ist als ich«. Ich schneuzte mich heftig in das Taschentuch.
    Octavian – Emil – war gekränkt und zog sich wortkarg zurück. Die Marschallin hing weiter ihren düsteren Ahnungen nach. Oh, Richard Strauss, was hast du dir für wunderbare Klänge einfallen lassen, um mich in diesem Augenblick der Erkenntnis zu trösten! Der Vorhang senkte sich. Ich schniefte und erhob mich schwer von meinem Logenstuhl.
    In der Pause versuchte ich, Emil zu erreichen. Die Mailbox sprang an. Ich sagte unfein »Scheiße« und drückte das Handy aus. Die Leute starrten mich an und tuschelten. Ist sie nicht? Oder ist sie die junge Schwester? Sieht in natura hübscher und schlanker aus!
    O Gott, dachte ich. Lass die Oper weitergehen.
    Im zweiten Akt überreichte Octavian – Emil –, nun wieder als Mann verkleidet, der reizenden jungen Sophie – Melanie – die silberne Rose. »Mir ist die Ehre widerfahren …« Ja. Sie passten zusammen. Sie waren jung und schön und sangen ein wunderbares Duett. Mitten hinein platzte erneut Ochs – Oda-Gesine – mit seinen miserablen Manieren. Das schöne Kind Sophie – Melanie – war ganz verängstigt und suchte bei Octavian – Emil – Schutz. Dieser zog kühn den Degen und verletzte den dicken Ochs – die dicke Oda-Gesine – am Arm. Wie er da so lag, wehklagend und jammernd auf seiner Couch, und seine Angestellten – Tanja, Rolf, Maik, Kim, Silvia, Lutz, Frank, Sascha – um sich herumtanzen ließ, da fragte ich mich wieder und wieder, woher Richard Strauss die Verhältnisse von »Wört-Flört«

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