Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
Schwärmereien anhören. Womöglich lockte er aus mir noch weitere Geständnisse heraus. O nein.
So ließ ich mich vom Fahrer des ORF, dem dicken alten Herrn Much, nach Schwechat fahren. Herr Much murmelte irgendetwas auf wienerisch, das sich nach Mitlääid und Bedauern anhörte, aber ich verstand ihn nicht. Ich war auch viel zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt. Ich zog mich in mein Schneckenhaus zurück und gab mich meinem Traurigsein hin. Statt mich in ein Korsett zu zwängen, das einfach nicht passte, sollte ich die kostbare Zeit mit wirklich Sinnvollem verbringen. War »Wört-Flört« es denn wert, dass ich mich so verbog? Die Zeit ist ein sonderbar Ding! Wie schnell sie verging, war mir doch jetzt klargeworden! Was tat ich noch auf dieser Bühne? Draußen ödestes Industriegebiet. Graue Autobahnplanken vor hässlichen, düstere Wolken ausstoßenden Schornsteinen. Fabrikhallen, Container, Laster, Stoppelfelder.
In mir drin sah es genauso aus wie draußen am grauen, trostlosen Himmel von Schwechat. Ich sah einfach keinen Ausweg aus dem wolkenverhangenen Tal! Welche Bergspitze sollte ich erklimmen, wenn nicht die, für die ich mich vergebens abstrampelte? WAR das überhaupt eine Bergspitze? Oder war es nur eine optische Täuschung, ein bizarres Wolkengebilde aus feuchter Luft, das sich irgendwann in ein Meer von kalten Wassertropfen verwandeln würde? Oder, wenn es tatsächlich eine Bergspitze war, was sollte ich tun, wenn ich oben war? Oben war es schneidend kalt! Und der eisige Nordwind blies mir ins Gesicht! War das denn überhaupt erstrebenswert? Ich kramte nach dem Taschentuch des Opernfreundes von gestern und pröttelte hinein.
Herr Much, der Fahrer des ORF, der alte, faltige, gelbzahnige Mann, der so stark wienerisch sprach, dass ich ihn nicht verstand, schaute in den Rückspiegel und äußerte, begleitet von Gestank nach kaltem Rauch, ein paar tröstende Worte. Ach, Herr Much! Wie gern hätte ich ihm meinen Kummer mitgeteilt. Aber was verstand Herr Much davon. Er murmelte irgendwas von »’s Gööld schon aaufträäibn« und »diese Schwääne«, aber ich wusste nicht, welche Schwäne er meinte und wofür er Geld auftreiben wollte. Vielleicht wollte er mit seinem Enkelkind im Prater die Schwäne füttern und musste dafür Geld auftreiben. Ich wollte ihn nicht mit Fragen beläädigen.
Als ich am Flughafen ausstieg, drückte ich Herrn Much alle mir verbliebenen Schillinge in die lederbehandschuhte Pranke. Er drückte mich kurz an sich, was ich erstaunlich fand, und trug mir noch die Koffer bis zum Eincheckschalter. Ein paar andere Passagiere tuschelten und steckten die Köpfe zusammen und blickten fürchterlich betreten, als sie mich und Herrn Much sahen. Hatten sie mich erkannt? War die Heino-Nummer so peinlich gewesen? Ich blickte verstört zu Boden.
»Ich blääb, bis Sie äängstiegen san«, murmelte Herr Much ritterlich. Das hatte ich nun davon, dass ich ihm Geld für die Schwäne gegeben hatte.
Eine Frau, die in der Schlange nebenan gestanden hatte, kam auf mich zu und legte ihre Hand auf meinen Arm.
Das konnte ich aber nun gar nicht haben!
»Sie verwechseln mich!«, sagte ich bockig. Brüsk zog ich meinen Arm weg.
»Sind Sie nicht Kaarla Stääin?«
»Doch! Aber das ist noch lange kein Grund, mich anzufassen!«, herrschte ich sie an und flüchtete mich in die Damentoilette.
Verdammt. Jetzt hatte ich einen Ösi verärgert. Dabei sollte ich doch Punkte sammeln. Stattdessen war ich unfreundlich und zickig. Punkteabzug! Konnte man nicht mal irgendwo in Ruhe heulen? Ich schloss mich ein, hockte mich auf den geschlossenen Klodeckel und wählte Emils Handy-Nummer. Emil! Geh ran! Bitte! Wenn ich jetzt deine Stimme höre, wird alles gut …
Wieder sprang die Mailbox an. Verdammter Bengel. Wo bist du, was treibst du, und wo ist mein Kind? Ich schicke dich in die Wüste zurück, sobald ich wieder zu Hause bin.
Senta anzurufen, hatte ich einfach nicht die Kraft. Wir waren böse miteinander. Aber ich MUSSTE jetzt wissen, wo Emil steckte! Es kostete mich eine Riesenüberwindung, beim SENDER anzurufen. Oda-Gesine würde vielleicht wissen, wo sich ihre Praktikantin herumtrieb. Ich hatte Lutz an der Strippe, unseren Sekretär mit der Baskenmütze.
»Hi, Lutz«, schniefte ich in den Hörer. »Kannst du mich mal zu Oda-Gesine durchstellen?«
»Nee, die ist natürlich pressemäßig unterwegs«, sagte Lutz. »Bei uns ist ja total der Bär los! Wir haben alle die ganze Nacht nicht geschlafen! Du,
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