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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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kannte? Oder waren die Verhältnisse überall so, wo Macht im Spiel war? Ich wollte nicht mehr zu diesem Fegefeuer der Eitelkeiten gehören. In diesem Spiel war ich eine völlige Fehlbesetzung. Ein Intrigantenpaar tauchte auf, Annina und Valzacchi – die Tiefkühl-Lolly-Frau und Herr Bönninghausen –, und brachte die wahrhaft Liebenden vorerst auseinander. Das war der zweite Akt.
    Ich nutzte die Pause, um Emil auf die Mailbox zu sprechen. »Ruf mich an, verdammt noch mal! Wo steckst du? Ich will wissen, ob mit Paulinchen alles in Ordnung ist.« Dann schaltete ich das Handy schnell wieder aus. Zumal die Leute mich anglotzten. Was ist? Habe ich etwa die Heino-Perücke noch auf? Oder warum glotzt ihr so? Ein Zeitungsverkäufer hielt die druckfrische Boulevardzeitung von morgen hoch. Es ging um eine Kindesentführung. Prominentenbaby von Schwarzem geklaut.
    Na, hier gab’s genau solche Schundblätter wie bei uns. Ob ich verheult aussah? Leute! Das kommt in guten Opern vor, dass Leute heulen. Darum braucht ihr doch nicht so mitleidsvoll zu schauen. Oder bilde ich mir das ein?
    Im dritten Akt ging der dicke Ochs dem erneut als Mariandl verkleideten Octavian gründlich auf den Leim. Nein, was er doch dumm war, der dicke Ochs, naiv, von sich eingenommen und blind gegenüber der Realität!
    Alle merkten, dass es »eine Maskerad’« war »und weiter nichts«. Alle tanzten nach Ochsens – Oda-Gesines – Pfeife, aber längst waren sich alle einig, dass Ochs ein eitler alter Trottel war. Die Marschallin litt still vor sich hin, das junge Liebespaar verzehrte sich nacheinander, und schließlich – Ochs hatte inzwischen seine Perücke verloren und machte wahrhaft keine gute Figur – zog der dicke Chef ab. »Leupold, mir gengan!« Lutz, wir gehen.
    Nun kam noch der ganz intime Schluss. Die Marschallin, Octavian und Sophie waren allein.
    Betretenheit herrschte, alle Drei wussten um ihre verschlungenen Gefühlsverwirrungen. Da nahm die Marschallin noblen Herzens Abschied von ihrer Liebe (Terzett: »Hab mir’s gelobt, ihn liebzuhaben«) – Karla fuhr Melanie und Emil in die Disco – und überließ die Liebenden ihrem Glück – und ließ sie bei sich zu Hause übernachten, nicht ohne der Mutter zu versichern, es würde nichts passieren. Octavian und Sophie standen eng aneinandergeschmiegt auf der Bühne und sangen eines der wunderschönsten Duette, die es am Himmel der Opernseligkeit je gegeben hat: »Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein.« Das war im Vergleich zu »Er gehört zu mir wie mein Name an der Tür« einfach göttlich. Überirdisch. Langsam gingen die jungen Liebenden weg. Und ließen mich allein in der Loge zurück. Die Geigenklänge begleiteten sie, als wollten sie nie mehr verstummen.
    Ich war so überwältigt, dass mir die Tränen nur so aus den Augen liefen.
    Am Schluss verlor Sophie noch ihr Taschentuch. Der kleine Mohr der Marschallin trippelte herein, suchte es, fand es, schwenkte es triumphierend und rannte damit davon.
    Der Vorhang schloss sich. Unbeschreiblicher Beifall tobte los.
    Ich knüllte das Taschentuch des Herrn zusammen mit dem Taschentuch von Jo in den Händen. Wie sollte ich nur jetzt mit meinem verheulten Gesicht an den starrenden Leuten vorbei?
    Aber dieser Abend war es mir wert gewesen. Ich würde die Taschentücher behalten. Als Erinnerung an meinen Vierzigsten.

Am nächsten Tag flog ich nach Nürnberg.
    Es war kalt, es war grau, es war düster. Wieder kam mir ein Stück aus der »Winterreise« in den Sinn:
    Da war es kalt und finster, es schrien die Raben vom Dach … Und ich wandre sondermaßen, suche Ruh und suche Ruh …
    Alle Bemühungen von Oda-Gesine, aus mir eine künstliche Figur zu machen, die der Fernsehzuschauer leiden konnte, waren bisher fehlgeschlagen. Und dabei drehte sich mein Leben nur noch um eben diese Bemühungen. Ich hatte keine Freunde mehr, niemanden, mit dem ich reden konnte. Selbst zwischen Senta und mir war eine Kluft entstanden. Mich gab es nicht mehr wirklich. Es ging nur um Quoten, Marktanteile und Forsa-Umfragen.
    So war es tatsächlich passiert, dass ich einem fremden Menschen namens Jo mein Herz ausgeschüttet hatte.
    Wie pääinlich! Ich bereute es so schrecklich. Aber jetzt war es nicht mehr zu ändern. Ich hoffte nur, dieser Mann würde mich ganz schnell vergessen. Seine Bitte, mich doch wenigstens noch zum Flughafen begleiten zu dürfen, hatte ich abgelehnt. Was sollte ich mit ihm in der Abfertigungshalle herumstehen und mir weiter seine

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