Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
Karla, das tut mir alles schrecklich leid für dich!«
WAS tat ihm leid? War die Heino-Nummer nach hinten losgegangen? Waren die Ösis verstimmt? Hatten sie im Internet ihren Zorn hinterlassen? Jetzt sollte er nicht auch noch sagen, dass die Einschaltquoten gesunken waren. Oder die Marktanteile. Oder beides. Nein, das wollte ich jetzt nicht auch noch zu hören kriegen.
Anscheinend hörte Lutz aber, dass ich heulte.
»Mensch, Karla, du«, sagte er.
»Weißt du denn nicht, wo Emil mit Paulinchen ist?« Ich ließ meinen Tränen freien Lauf. Was sollte es. Nun war es eh egal.
»Nein, Karla. Hier im SENDER weiß es wirklich keiner. Ich wollte, ich könnte was für dich tun.«
»Schon gut, Lutz«, sagte ich und schaltete mein Handy aus.
Ich wischte mir mit Klopapier und kaltem Wasser das Gesicht ab. Als ich den Flieger bestieg und die Stewardessen mich mitläädig anschauten, wurde mir klar, dass Berühmtsein und gleichzeitig Heulen einfach nicht angesagt ist. Tja, Leute, dachte ich. Fernsehnasen haben auch mal ihre Tage. Da seht ihr’s mal.
Dieser Jogging-Papst und Fettverbrennungs-Guru war eine Zumutung. Allein schon optisch. Muskeln, Sehnen, braungebrannte Haut und ein Strahlen, das einem die Schuhe auszog. Marathon-Män war der, Ultra-Män, Iron-Män, Blendamed-Reklame und Meister Proper in einem. In seinem Prospekt, der ihn als jubelnden Sieger mit hochgereckten Armen zeigte, konnte man lesen, dass er alle 17 Hawaii-Triathlons in seiner Altersklasse gewonnen hatte. Altersklasse. Aha. Das machte mich hellhörig. 54 junge knackige Lenze war der alt. Geradezu ein junger Hüpfer also. Rein äußerlich erinnerte er mich ein bisschen an diese Mucki-Buden-Grufties, die nicht bis drei zählen konnten und auf die Frage, was sie beruflich machten, »Wais isch net« antworteten. Aber dieser hier wusste anscheinend viel über sich und das, was er wollte.
»Der 17fache Iron-Män (was auch immer das war), Internist, Gastroenterologe, wissenschaftliche Autor, Kernphysiker und Fitness-Experte Dr. Strunz zeigt Ihnen in einem faszinierenden Seminar …« stand in dem Prospekt. Dr. Strunz. Nomen est omen, dachte ich, während ich mich abwartend auf meinem Seminarstühlchen zurücklehnte. Du, Bursche, musst mir erst mal beweisen, dass du die Reise ins Hinterfränkische wert bist. Dieser Mann sah einfach so unverschämt wohlproportioniert aus, dass man gar nicht hinschauen mochte. Da konnten alle meine »Wört-Flört«-Kerls einpacken.
»Sie lernen, wie Ihr Konzentrationsvermögen, Ihre Durchsetzungskraft, Ihre Kreativität und Ihre innere Leichtigkeit, Ihre Souveränität und Ihr Überblick gesteuert werden von der stärksten Droge, die die Menschheit kennt!« stand im Prospekt.
Aha. Das war’s also, warum Oda-Gesine mich hierhergeschickt hatte. Nun wollte sie mich endlich zu einer starken Persönlichkeit machen. Na, das wurde aber auch Zeit. Äußerlich entsprach ich ja jetzt ihren Wünschen. Aber wie wird man zu einer starken Persönlichkeit, Herr Dr. Strunz? Lohos! Wir warten!
»Laufen Sie!« tänzelte der geradezu provokant körperkulturgerecht gekleidete Referent vor uns einunddreißig lahmen Seminarteilnehmern herum. Mir schwirrte noch der Boggsbeudl von gestään im Hinn herum. Der frängische Ssläng hatte das Wienerische aus meinem inneren Ohr verdrängt. Das Seminar fand in einem völlig abgelegenen Dorf hinter Nürnberg statt. Im Zimmä gab’s kai Fernnsehn und kai Radio net. Nur besinne solid man sisch. Auf sich selbst. Und lauwe. Täglisch.
Was soll isch, dachte ich frängisch-drotzick in mich hinein. Lauwe? In maim Alldä fang isch doch damit nimmä an! Erst lassens mich faste, bis isch fast vom Stengel fall, un jetzt soll isch lauwe! Und alles nur für das Schaais-»Wött-Flött«! Ei, da stäbb isch doch libbä früh!
Ich schaute mich neugierig im Saale um. Die meisten, die hier herumlümmelten, waren verfettete Manager. Alle irgendwie sowohl auf dem Höhepunkt als auch in der Krise ihres Lebens. Genau wie ich. Alle wollten oder mussten abnehmen und über ihre Gesundheit nachdenken und ihren bisherigen Lebensstil überdenken und endlich mal was dran ändern. Genau wie ich.
Es waren übrigens durchaus ein paar gutaussehende jungdynamische Strebsame unter des Gurus Jüngern. Mit vollem Haar und klarem Blick. Aber die meisten hatten struppiges Fell und einen Wohlstandsschwimmring, Haarausfall, grobporige Haut vom Rauchen und Trinken. Vo-ku-hi-la-O-li-bas in jeder Altersstufe. Das waren die, die sowieso
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