Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
laufe lächelnd, locker, leicht. Wenn die Pulsuhr piepst, sind Sie zu schnell. Sie sollten es nicht dazu kommen lassen. Denn wenn Sie erst im anaeroben Bereich sind, braucht der Körper fünf Minuten, um wieder Fett abzubauen. Dann war alle Läufermühe umsonst.«
»Und der Körper baut wirklich Fett ab, wenn man so langsam vor sich hin trabt?«, fragte einer. »Ich renne seit Jahren, bis mir schwarz vor Augen wird!«
»Und ich quäl mich fünf Stunden pro Woche im Fitnessstudio«, rief ein anderer. »Für viel Geld!«
Wieder so ein Mucki-Buden-Gruftie, dachte ich. Wie kann man sich freiwillig in so eine Folterkammer begeben, sich auf Marterbänke legen, sich mit Gewichten behängen und hundertmal das Bein gegen ein Eisen pressen? Wer macht so was? Und wofür? Früher, die Sklaven, die mussten vierzehn Stunden barfuss um ein Mühlrad herumtrotten. Wie alte Pferde. Oder auf einer Tretmühle rumstampfen. Genau das machen doch die Typen im Fitnessstudio! Treten auf der Stelle!
»Beobachten Sie mal ein Eichhörnchen oder ein achtjähriges Kind, das kein Computerspiel hat«, rief Dr. Strunz aus.
Dü gübt’s hür nüch, dachte ich. Weder das Eine noch das Andere.
»Die springen den ganzen Tag herum. Aus Lebensfreude, nicht weil sie sich quälen wollen! Und die MEIDEN nicht Fett, die VERBRENNEN ES!«
Das leuchtete allen ein.
»Wie lange muss isch denn so lauwe, bis des wirkt?«
»Am ersten Tag verbrennt Ihr Körper noch kein Fett. Nach vier Wochen bereits 25 Prozent. Und nach zwölf Wochen können Sie essen, was Sie wollen. Die fettabbauenden Enzyme in der Muskelmasse steigern sich auf 80 Prozent! Aus Ihrem alten Zweizylinder wird ein Achtzylinder. Das ist ein Unterschied wie zwischen Trabbi und Porsche!«
»Boh, ey.« Das beeindruckte die Vo-ku-hi-las doch.
»Und dann dürfen wir alles essen, was wir wollen?«
»Laufen weckt die somatische Intelligenz«, belehrte uns der Meister. Er tänzelte immer noch.
»Die was?«
»Wer regelmäßig läuft, ernährt sich automatisch richtig.«
Klar, dachte ich. Der verschlingt bestimmt keine fettigen Fritten und stopft keine Saumägen und Nürnberger Roschtbratwürscht und »Wört-Flört-Törts« in sich hinein. Dem sein Köbbä verlangt nach Vollwertbratlingen und Tofu im eigenen Sud. Und Magäquack mit Babricka.
»Wir haben keine Diät, die so dauerhaft wirkt und die das Gehirn zusätzlich mit 100 Prozent mehr Sauerstoff versorgt!«, rief Dr. Strunz und hörte nicht mit dem provokanten Tänzeln auf. »Wenn so eine Diät erfunden würde, würde alle Welt morgen vor den Apotheken Schlange stehen!«
l00 Prozent mehr Sauerstoff in der Birne. Nie zuvor hatte ich mir darüber Gedanken gemacht, dass Fett nicht nur am Bauch und am Hintern, sondern auch im Gehirn hängt. Und die Gehirnwindungen verklebt. Und Halsschlagadern verstopft. Wer weiß, an welchen seidenen Fäden Oda-Gesines Leben hing. Vielleicht war das nächste »Wört-Flört-Tört« schon ihr Tod?! Man sollte sie retten!
»Werden Sie zum Adler! Sie sind lange genug eine Ameise gewesen!«
Herr Dr. Strunz erläuterte, dass das Laufen Endorphine freisetzt, die dem Läufer sterntalergleich über das Haupt geschüttet werden. Ein Adler empfindet elfmal mehr Glück als eine Ameise! Gedanken brechen sich Bahn, gute, positive, kreative Gedanken. Erkenntnisse, die in die Tat umgesetzt werden. Es entsteht Mut!
»Ein Läufer duckmäusert nicht! Der Körper setzt Hormone frei, von denen Sie vorher gar nichts wussten. Kennen Sie das Chefhormon?«
Das kannten wir natürlich nicht. Obwohl einige Chefs unter den Seminarteilnehmern waren. Ich kannte das Chefhormon, aber nur indirekt. Nur vom Oda-Gesine-Betrachten.
Der energiestrotzende Doktor erzählte uns die Geschichte von einem kleinen Affen, der auf dem Pavianfelsen immer unter »ferner liefen« eingestuft zu werden schien. Man spritzte ihm das Chefhormon Serotonin. Da kletterte der Pavian auf den Cheffelsen, vertrieb den Alten mit dem riesigen roten Imponiergehänge am Hintern und blieb so lange zufrieden und selbstverständlich auf dem Cheffelsen hocken, bis die Hormonspritze nicht mehr wirkte.
Und dieses Chefhormon bildete der Körper also beim Laufen.
Interessant, dachte ich. Chefhormon. Scheint ja ’ne Menge von dem Zeug in den Nougatriegeln zu stecken.
In der Mittagspause rauchte mir der Kopf. Das war ja ein phantastisches Seminar! Selten hatte ich in so kurzer Zeit so viel gelernt! Ob man mit dem Doktor über einem Salatblatt ein Privatgespräch führen
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