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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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schädlich, als wenn man gar nicht läuft.«
    »Schädlicher«, sagte ein Anderer, der hinter uns trabte. »Bei Puls über 140 sind schon einige tot umgefallen. Letztens noch der Schwager von einem Freund. Der war fünfundvierzig und gar nicht blöd. Aber er glaubte, dass schnell laufen wirkungsvoller sei als langsam laufen. Der hatte einen Puls von schätzungsweise 190. Ist tot umgefallen wie ein Stein. Hinterließ Frau und drei Kinder.«
    »Wahnsinn«, sagte ich. »Was es doch für geheimnisvolle Weisheiten gibt.«
    Wir trabten weiter. Und ganz langsam ging bei mir innen drin das Kokain-Kästchen auf.
    Nach dem kalten Duschen saßen wir noch lange beieinander. Ich war so wissbegierig, so begeistert und so beeindruckt von all den Neuigkeiten, dass ich überhaupt nicht mehr daran dachte, Emil anzurufen. Als ich gegen Mitternacht in mein Hotelzimmer zurückkam, fiel ich sofort wie tot ins Bett.
    Am nächsten Morgen traf sich die Gruppe schon um halb acht. Es war herrlich, der blutrot aufgehenden Sonne entgegenzulaufen! Es roch nach Frühling! Die kahlen Bäume und wirrverzweigten Äste wurden glutgold beschienen. Ich fühlte, wie sich meine Lungen mit frischer Morgenluft füllten. Mir war angenehm warm, und das war mir noch nie an einem Märzmorgen passiert! Die trostlosen Felder und Acker, die in mir unter anderen Umständen Depressionen hervorgerufen hätten, waren eingetaucht in warmes, unbeschreiblich intensives Licht. Ein nie gekanntes Glücksgefühl, ein Gefühl von Ruhe, Zufriedenheit und Dankbarkeit machte sich in mir breit.
    Ich könnte immer so weiterlaufen, dachte ich. Immer so weiter! Alle Sorgen und trüben Gedanken bleiben hinter mir! Ich fühlte mich nicht mehr klein und hässlich. Ich wollte mich nicht mehr fernsteuern lassen. So einfach war das also? Das war ja fast wie Fliegen! Sollte aus der jämmerlichen Ameise ein Adler werden?
    Den Anderen schien es ähnlich zu gehen. Keinem blieb die Luft weg, niemand keuchte, keiner stöhnte, keiner brach zusammen und taumelte, von Seitenstichen geplagt, in eine Hecke. Selbst Frau Qualle strahlte beim Laufen.
    Das Seminar ging weiter. Ich war von der Welt wie abgeschnitten. Und das tat mir gut. Wir lernten sehr viel Interessantes über Ernährung, Hormone, Enzyme, Stoffwechsel, Biostoffe, Energiebilanz, wachen Geist und positive Gedanken.
    Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, nicht irgendeinem selbsternannten Guru zum Opfer gefallen zu sein, der sich auf die Brust haut wie ein Gorilla und »Ich bin STAAARK!« brüllt. Dies hier, das hatte Hand und Fuß. Das war medizinisch untermauert. Und dieser strahlende Dr. Strunz war der lebende Beweis für die Richtigkeit seiner Theorien.
    Als ich am späten Nachmittag in den Zug stieg, um nach München zurückzufahren, waren mir zwei Dinge klargeworden: Ich wollte keine Ameise mehr sein, sondern ein Adler. Und ich hatte das ganze Wochenende nicht an meine Einschaltquoten und Marktanteile gedacht.
    Nicht ein einziges Mal.
    Im Bayrischen Hof war aber was los! Donnerwetter, dachte ich, es ist bestimmt ein Presseball oder eine Premierenfeier, oder Michael Jackson übernachtet hier. Hoffentlich lassen die mich überhaupt rein.
    Wo man hinsah, drängelten sich Fotografen. Die ganze Mischpoke, dachte ich, inzwischen kenne ich sie alle und weiß, wer für welche Zeitung schreibt und welcher Fotograf zu welchem Reporter gehört.
    »Hallo«, grüßte ich den Ersten. »Was ist denn hier los?«
    »Da ist sie!«, schrie jemand. Und dann sprangen sie herbei und bildeten einen Kreis um mich.
    Nicht schon wieder »Versteckte Kamera«, war mein erster Gedanke. Irgendwann isses aber genuch. Mama will ins Bett. Aber dann wurde mir klar, dass hier keine Kamera versteckt war. Sie waren alle offen und sehr sichtbar auf mich gerichtet. Die ersten Blitze zuckten vor meinen Augen.
    »He, lasst das doch! Was soll denn das?!«
    »Frau Stein, dürfen wir fragen, wie Sie die Nachricht aufgenommen haben?«
    Das klang nicht nach Lottogewinn. Die guckten alle so ernst! Da war was passiert! Vielleicht hatte Heino gegen mich geklagt? Oder die Sache mit der Oper war rausgekommen! Waren die Einschaltquoten unter fünf Millionen geraten? Vielleicht sogar unter vier?! Welch grässliche Schande für den SENDER! In den Keller gestürzt wie die Börse, der Dow Jones oder der Dax? Vielleicht hatte man »Wört-Flört« bereits abgesetzt?! Oder sie hatten längst einen neuen Moderator? Womöglich einen jungen Mann mit Akzent?
    Mein Herz fing an zu

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