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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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sich befand? Ob Emil ahnte, mit welch hochrangigen Persönlichkeiten er es hier zu tun hatte? Ob Emil das Ganze genoss? Oder womöglich völlig bescheuert fand? Ob er immer noch Sehnsucht nach seiner Mama hatte?
    Paulinchen verhielt sich mustergültig. Sie lag in ihrem Wagen und schaute mit großen staunenden Augen zu den Kronleuchtern hinauf. Sie lauschte den Worten des Bundespräsidenten, dem Beifall der Menschen, dem Klang des Orchesters.
    Der Bundespräsident sagte, während er Paul das Bundesverdienstkreuz überreichte, dieser Orden sei für außergewöhnliche Leistungen in Zusammenarbeit mit jungen Musikern aus fünfzig Ländern. Paul hätte geschafft, sie alle in einem Welt-Elite-Orchester zusammenzubringen. Christen und Moslems, Juden und Buddhisten. Sie alle spielten unter Pauls Leitung gemeinsam, strichen den gleichen Bogen, atmeten den gleichen Klang. Und reisten um die ganze Welt. Auch dorthin, wo Krieg war. Und spielten Mahlers Auferstehungssinfonie. Das war etwas Großes, Ungewöhnliches. Nicht zu vergleichen mit dieser oberflächlichen Sache, die ich machte, dachte ich beschämt. Auch wenn ich viel mehr damit verdiente als Paul. Und viel, viel höhere Einschaltquoten hatte. Aber mir würde der Bundespräsident für diesen Schwachsinn niemals einen Orden verleihen.
    Als die Feierlichkeiten und Reden vorbei waren, wurden wir zu Tisch gebeten. Paul setzte sich charmant plaudernd zu seinen Musikern. Das war auch richtig so. Paul hatte den Ehrgeiz, mit jedem seiner Musiker in dessen Muttersprache wenigstens ein paar Sätze sprechen zu können. Ich bewunderte das alles. Die Gattin des Bundespräsidenten näherte sich ihm, um zu gratulieren. Paul sprang auf, küsste ihr formvollendet die Hand, parlierte fließend, stellte vor, übersetzte, scherzte, plauderte.
    Emil und ich standen etwas verloren herum. Emil hatte noch immer seine Schirmkappe auf. Und seinen viel zu dicken, kratzigen Pullover an.
    »Na, haben Sie beide noch kein Plätzchen gefunden?«
    Der Bundespräsident persönlich! Mir zitterten die Knie. Der Bundespräsident reichte mir die Hand. »Roman Herzog.«
    »Karla Stein.« O Gott. Bitte, mach dass er noch nie »Wört-Flört« geguckt hat. Bitte mach, dass er für so was keine Zeit hat. Bitte mach, dass er mich nicht kennt. Bitte mach, dass er Sentas schwarzweißes Kostüm und die silbernen Schnallen auf dem Halstuch nicht sieht.
    Er kannte mich nicht. Oder doch?
    »Ihre Sendung ›Endlich allein‹ haben meine Frau und ich immer mit großem Interesse gesehen«, lächelte er vieldeutig. Ich wollte im Boden versinken.
    »Ich moderiere sie leider nicht mehr.«
    »Bedauerlicherweise; das findet auch meine Frau.«
    Peng. Da hatte ich es. Aus dem Munde des Bundespräsidenten. Mir wurde weich in den Knien.
    Nun reichte er auch noch Emil die Hand. Nachbarin, euer Fläschchen. Emil! Nimm wenigstens die Schirmkappe ab, Junge! Steh gerade und nimm Haltung an und leg das übel riechende Baby weg, wenn der Bundespräsident dir die Hand gibt! Das hatte noch keiner getan. Dem »Boy« mit der Schirmkappe die Hand gereicht.
    »Roman Herzog«, sagte er freundlich. »Ich bin hier der Gastgeber.«
    »Emil«, sagte Emil. »Ich bin nur der Babysitter.«
    »Er ist aus Südafrika«, sagte ich schnell. Als wenn das entschuldigte, dass er mit Jeans und Turnschuhen und Schirmkappe beim Bundespräsidenten erschienen war!
    »Bitte, setzen Sie sich zu mir! Meine Frau ist ja dort hinten beschäftigt!«
    Der Bundespräsident nahm mit aller Selbstverständlichkeit Paulinchen von Emils Arm.
    »Na, das ist ja der jüngste Gast, den ich seit langem hier im Schloss begrüßen durfte. Ein Er oder eine Sie?«
    »Meine und Paul Steins Tochter«, sagte ich und versuchte, nicht zu erröten. »Pauline. Drei Monate alt.«
    »Kinder sind doch immer wieder ein Wunder«, sagte der Bundespräsident. Er setzte sich vorsichtig und betrachtete mein Töchterlein voller Güte. »Meine Frau wird mich beneiden, wenn sie mich sieht. Bitte, bedienen Sie sich vom Büfett. Ich sitze hier solange mit Pauline. Wie gut meine Frau kochen kann, weiß ich schon.«
    Pauline gähnte den Bundespräsidenten unfein an und ließ ihn ihr Rachenzäpfchen sehen. Aus ihrem zahnlosen Mäulchen kam süßlicher Muttermilchgeruch.
    »Äm«, sagte ich und streckte die Hände nach ihr aus.
    »Bitte, ich kann sie nehmen«, sagte auch Emil.
    »Nein, junger Mann, SIE sehen hungrig aus. Als ich in Ihrem Alter war, hatte ich auch immer Hunger. Probieren Sie die Speckpfannekuchen.

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